Der Kindersammler
vorstellen. Sie ist Gast bei mir und möchte dich gern kennen lernen.«
Deutlicher konnte man nicht mit der Tür ins Haus fallen und sein Vorhaben auf den Punkt bringen. Anne war ziemlich erschöpft und verschwitzt, sie hatte gerade das gesamte Haus einmal durchgewischt und den Scheuerlappen noch in der Hand. Gestern Nachmittag war sie ins Dorf gefahren und hatte bei der Gelegenheit ihre Mailbox abgehört. Harald hatte eine Nachricht hinterlassen und überraschend seinen Besuch angekündigt. Um siebzehn Uhr musste sie ihn bereits vom Flugplatz in Florenz abholen, und sie wollte ihm Valle Coronata von seiner bestmöglichen Seite präsentieren.
Eleonore sah aus, als könnte sie nur noch ein Eimer Wasser vor dem ICreislaufkollaps bewahren, während die Frau, die sich dezent im Hintergrund hielt, den Eindruck machte, als hätte sie der Marsch von La Pecora nach Valle Coronata nicht im Geringsten angestrengt. Sie hatte ein offenes, aber vollkommen unaufdringliches Lächeln und war Anne auf den ersten Blick sympathisch.
Anne umarmte Eleonore und reichte Mareike die Hand. »Setzt euch doch schon mal, ich hole uns was zu trinken.«
Als sie mit Gläsern, zwei Wasserflaschen, einmal >frizzante< und einmal >naturale< und einem Schälchen Limonen wiederkam, erklärte Eleonore gerade die Besonderheiten des Tals.
»Soll ich Sie kurz einmal herumführen und Ihnen alles zeigen?«, fragte Anne.
»Gern.« Das Tal faszinierte Mareike, und sie war neugierig, mehr davon zu sehen.
Als sie ihren Rundgang durch das Haus, am Bach entlang, am Pool, am Wasserfall vorbei und über den Parkplatz wieder zurück gemacht hatten, wusste Anne bereits, dass Mareike Kriminalhauptkommissarin war und mit ihrer Freundin und ihren beiden Kindern Urlaub in La Pecora machte.
Das kann nicht sein, dass so eine Frau hier bei mir einfach so hereinschneit. Vielleicht schickt sie der Himmel, aber auf alle Fälle wird sie dazu beitragen, dass alles in Bewegung bleibt. Anne hatte das Gefühl, einen winzigen Stein ins Rollen gebracht zu haben, und jetzt sah sie fassungslos zu, wie eine gewaltige Steinlawine daraus wurde, die alles niederwalzte, was sich ihr in den Weg stellte.
Anne erzählte Mareike, wie Felix vor zehn Jahren verschwand, was die Polizei unternommen hatte und dass zwei weitere Jungen in dieser Gegend seit Jahren unauffindbar waren. Sie gab zu, Valle Coronata nur gekauft zu haben, um der Spur ihres Sohnes in Ruhe nachgehen zu können, und sie verschwieg auch nicht den Einbruch, bei dem lediglich Felix' Bild gestohlen worden war. Allora, die immer wiederkam und Rosenblüten in den Pool warf, erwähnte sie nicht.
Mareike hörte aufmerksam zu und unterbrach Anne kein einziges Mal. Anne sah in Mareikes glasklare hellblaue Augen und war sich sicher, dass sie alles in sich aufnahm, abspeicherte und kein Wort davon vergessen würde. Obwohl Mareike noch keinerlei Reaktion zeigte, fühlte sie sich vollkommen verstanden.
»Habe ich noch eine Hoffnung?«, fragte Anne, als sie zu Ende berichtet hatte.
Mareike schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid, das zu sagen, aber ich glaube nicht. Nein.«
Anne nickte. »Mittlerweile bin ich auch fast so weit.«
Sie stand auf, ging ins Haus und kam Sekunden später mit Fotos von Felix und einer Karte wieder, die sie vor Mareike und Eleonore ausbreitete. Mareike erinnerte sich an die dichten räumlichen Zusammenhänge, die auch schon im Fernsehbericht erwähnt worden waren.
»Ich nehme an, dass er hier lebt«, sagte sie spontan. »Mitten unter euch. Wahrscheinlich ist er der nette Nachbar, den jeder kennt, obwohl er sicher nicht allzu viele Kontakte hat. Aber er ist vertrauenswürdig und gehört einfach zu dieser kleinen Gemeinde im Valdarno dazu. Und alle paar Jahre geht er auf Jagd. Vollkommen unbehelligt, weil er sich in der Gegend bestens auskennt.
Ein großes, einsames Grundstück ist ja hier keine Seltenheit, also hat er auch keine Probleme, die Leichen in Ruhe zu vergraben oder zu beseitigen. Und da man ihm bisher nicht auf die Spur gekommen ist, ja ihn noch nicht einmal verdächtigt, kommt auch niemand auf die Idee, auf seinem Grundstück zu suchen. Und die Kinder werden nie gefunden.«
Eleonore warf Anne einen triumphierenden Blick zu, der so viel ausdrückte wie: Hör dir das an! Vielleicht kann sie dir ja wirklich helfen.
»Ich denke manchmal, wenn Felix in Deutschland verschwunden wäre, hätte man den Mörder oder den Entführer schon längst gefunden. Aber die Italiener unternehmen ja nichts! Ich
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