Der Kindersammler
mit den Kindern.« Überzeugt klang das nicht.
Eine Viertelstunde später erschien Edda, maulig und gelangweilt wie gewohnt. Sie hatte einzelne Haarsträhnen zu winzigen Zöpfen geflochten, die nun in alle Richtungen abstanden. Hinter ihr stolperte Jan auf die Terrasse, unentwegt auf seinem Gameboy herumtippend, sodass er nicht sehen konnte, wo er hintrat.
»Du lieber Himmel«, meinte Bettina mit Blick auf Feldas Kopf. »Wann hast du denn das gemacht? Das muss ja Stunden gedauert haben!«
»Gestern Abend. Ich konnte nicht schlafen.«
»Morgen, ihr beiden Hübschen. Nimm dir eine Scheibe Weißbrot, Jan. Willst du ein Ei, Edda?«
Edda schüttelte den Kopf »Ich bin auf Diät.«
Mareike stöhnte auf, aber sagte nichts.
»Was haltet ihr davon, wenn wir heute ans Meer fahren?«, fragte Bettina.
»Geil«, sagte Jan.
»0 Gott, wie ätzend«, meinte Edda.
»Wahrscheinlich noch stundenlang am Strand spazieren gehen, das ist ja echt das Allernachletzte!«
»Ist gut für deine Figur!«, sagte Mareike grinsend.
Eine Stunde später war Mareike allein. Nachdem sie zehn Minuten gelesen hatte, ging sie ins Haus, um sich eine lange Hose anzuziehen. Wenn man so still und unbeweglich auf dem Liegestuhl lag, wurde es doch kühl. Nach weiteren zehn Minuten erschien Eleonore auf der Terrasse. Sie hatte Arbeitshandschuhe an und eine Rosenschere in der Hand, aber Mareike musste innerlich grinsen. Eleonore war einfach nur neugierig und suchte Kontakt, die Rosenschneiderei war sicher nur ein Vorwand.
»Guten Morgen«, sagte Eleonore. »Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich die Rosen beschneide. Jetzt im Herbst muss das gemacht werden, ich beeile mich auch.«
»Machen Sie nur«, meinte Mareike. »Es stört mich überhaupt nicht.«
Eleonore hielt es keine fünf Minuten aus, schweigend zu arbeiten.
»Ihre Freundin hat mir erzählt, dass Sie Kommissarin sind?«, fragte sie vorsichtig.
»Ja, das stimmt.«
»Ermitteln Sie in Mordfällen?«
»Ja.«
»Das stelle ich mir nicht einfach vor.«
»Nein. Das ist es auch nicht.«
»Wie lange brauchen Sie denn so im Allgemeinen, um einen Mordfall aufzuklären?«
Mareike stöhnte innerlich auf. Das war so eine Frage nur um der Frage willen. Ähnlich absurd wie die ständig wiederkehrende Frage von Journalisten an einen Schauspieler, wie er es fertig bringt, seinen Text auswendig zu lernen.
»Es kommt ganz darauf an«, sagte Mareike dennoch sehr freundlich. »Manchmal erwischen wir einen Täter sehr schnell und manchmal nie. Es ist ja nicht nur die Ermittlungsarbeit, es gehört auch ein bisschen Glück dazu
»Das glaub ich.«
Mareike klappte ihr Buch zu. Die Gelegenheit war günstig. »Sagen Sie, Eleonore«, sagte Mareike, »ich habe gehört, dass während der letzten zehn Jahre genau hier in dieser Gegend Kinder verschwunden sind. Wissen Sie etwas davon?«
Eleonore nickte, legte die Rosenschere weg und setzte sich. »Drei kleine Jungen werden seit Jahren vermisst. Sie sind beim Spielen oder auf dem Schulweg verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Keiner weiß, was passiert ist. Man hat keine Spuren gefunden, es gibt keinen Verdächtigen, es ist unheimlich.«
»Und wo war das genau?« »Hier in der Gegend. Ein hinge ist sogar hier vor diesem Haus verschwunden. Seine Eltern sind Deutsche, die hier Urlaub gemacht haben. Der Junge spielte da hinten am Bach, und plötzlich war er weg.«
»Und man hat nichts gehört? Keinen Schrei, nichts?«
»Nichts. Aber ich kenne die Geschichte ja nur vom Hörensagen. Die Mutter des Jungen hat vor kurzem hier ganz in der Nähe ein Haus gekauft. Weil sie es nicht aushält, nicht zu wissen, was ihm passiert ist. Weil sie herausfinden will, wo er ist und ob er vielleicht noch lebt.«
Mareike versuchte, ihre Erregung zu verbergen, und sagte so gelassen wie möglich: »Eigentlich hatte ich nicht vor, in diesem Urlaub irgendetwas zu tun, was nach Arbeit aussieht oder auch nur annähernd mit meiner Arbeit zu tun hat ..., aber ich würde mich gern mal mit dieser Frau unterhalten.«
»Kein Problem. Wir können sie nicht anrufen, aber eigentlich ist sie fast immer zu Hause. Was halten Sie von einem kleinen Spaziergang? Oder wollen wir lieber mit dem Auto fahren?«
»Nein, nein, ein bisschen Bewegung tut mir gut.« Mareike stand auf. »Warten Sie, ich hole mir nur noch schnell eine lacke.«
82
»Tut mir Leid, dass wir dich so überfallen«, schnaufte Eleonore, als sie — gefolgt von Mareike — ins Tal kam. »Aber ich möchte dir Frau Koswig
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