Der Kindersammler
zu verdeutlichen.
»Glaubst du jetzt immer noch, dass ich spinne und hysterisch bin?« Annes Nasenflügel waren so weiß, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen.
»Nein. Komm hier weg.« Er hielt sie fest im Arm und führte sie langsam zum Haus. Sie ließ alles widerstandslos mit sich geschehen. Harald setzte sie an den Küchentisch und gab ihr ein Glas Wasser. »Trink einen Schluck. Du bist weiß wie die Wand.«
Dann setzte er sich zu ihr und nahm ihre Hand. Sie war eiskalt. »Lass uns nachdenken. Ganz langsam. Stück für Stück. Keine Angst, ich halte dich nicht mehr für hysterisch, ich sehe ja selbst, dass hier irgendwas nicht stimmt. Kannst du dir erklären, was das zu bedeuten hat?«
Anne schüttelte den Kopf.
»Kann es sein, dass diese merkwürdige Frau wieder hier war, die nicht sprechen kann und die auch das Bild gestohlen hat?«
»Natürlich kann das sein. Sie kommt ab und zu. Ich hab dir ja erzählt, dass sie ein paarmal Rosen ins Wasser geworfen hat.«
»Weißt du, was ich denke?«
»Ich denke dasselbe.« »Ich will es aber nicht glauben.«
»Ich auch nicht. Aber was hat das alles denn sonst zu bedeuten? Wir müssen den Boden vom Pool aufhauen, Harald, sonst kriegen wir keine Ruhe. Ich will jetzt wirklich wissen, ob da was ist oder nicht.«
»Wie stellst du dir das vor?«
»Weiß ich nicht!« Anne wurde wütend. »Aber so ein verdammter Pool wird doch wohl aufzuhauen sein! Der ist ja nicht für die Ewigkeit gebaut!«
Harald überlegte. »Mit der Spitzhacke ist das unmöglich. Da hacke ich vier Wochen drauf rum, wenn das man reicht. Wir brauchen einen Bagger. Das ist die einzige Möglichkeit.«
»Dann holen wir eben einen Bagger.«
»Du musst dir bewusst sein, dass du dann den ganzen nächsten Sommer nicht baden kannst.«
»Das ist mir egal.«
»Denn wenn wir jetzt alles aufreißen, musst du einen Antrag stellen, einen neuen und dann auch gleich einen vernünftigen Pool bauen zu dürfen. Das dauert bestimmt Monate, wenn nicht sogar ein bis zwei fahre. Dann müssen wir uns überlegen, welche Bank wir überfallen, um das Geld für den Pool aufzutreiben, und dann fängt die Bauerei an. Wahrscheinlich hast du sogar zwei oder drei Jahre keinen Pool.«
»Das ist mir egal. Ich kann sowieso nicht in einen Pool gehen, wenn ich immer denke, dass da also...«, sie suchte nach Worten, wollte das Schreckliche nicht aussprechen, das in ihren Gedanken herumgeisterte, »also, wenn ich mir immer vorstellen muss, dass da was ist.«
»Okay. Kennst du einen Baggerfahrer?«
»Nein. Aber wenn du nichts dagegen hast, dann steige ich jetzt, solange es noch hell ist, den Berg rauf und rufe Kai an. Er macht auch Baubetreuung und kann mir sofort einen besorgen, da bin ich ganz sicher.«
»Die richtigen Freunde muss man haben, dann gelingt einem alles im Leben«, meinte Harald und grinste. »Ja, mach das. Ruf ihn an. Damit der Spuk hier in diesem Tal endlich ein Ende hat.«
87
Mareike konnte vor Schmerzen die ganze Nacht nicht schlafen. Gegen vier Uhr früh weckte sie Bettina, da sie dringend eine Schmerztablette brauchte. Bettina holte ihr die Tablette und ein Glas Wasser und schlief sofort wieder ein.
Mareike lag wach und grübelte. Dieses Monster, das hier in der Gegend sein Unwesen trieb, war entweder derartig arrogant und von sich selbst überzeugt, dass es überhaupt nicht daran dachte zu fliehen oder zumindest den Tatort zu wechseln, oder der Täter hatte Familie und war an diesen Ort gebunden. Da es bisher keine verwertbaren Spuren gab, wenn man dem glauben konnte, was Eleonore und Anne erzählten, sprach viel dafür, dass der Mörder die Kinder bei sich zu Hause umbrachte und in seiner unmittelbaren Umgebung verschwinden ließ. Er hatte Zeit, war unbeobachtet und fühlte sich absolut sicher. In diesem Fall war eine Familie eher unwahrscheinlich.
Ein italienischer Familienvater, der kleine Kinder umbrachte, erschien Mareike auch abwegig, ein arroganter Single, der in einem einsamen Haus lebte und dort völlig unbehelligt Leichen verschwinden lassen konnte, klang wesentlich plausibler.
Wenn ich hier mit meinen Kindern wohnen würde, hätte ich keine ruhige Minute mehr, dachte Mareike. Sie lag still auf dem Rücken, versuchte, sich zu entspannen und ruhig zu atmen, aber einschlafen konnte sie dennoch nicht.
Um sieben robbte Mareike in ihrem Bademantel auf dem Hintern die Treppe hinunter und hüpfte auf die Terrasse. Die Sonne ging gerade auf. Mareike atmete tief durch und verscheuchte die
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