Der Kindersammler
warnend. »Der Mann kann nichts dafür. Er hat getan, was er für richtig hielt. Und ich glaube, es ist wirklich richtig. Die Polizei muss kommen. Und dann sehen wir weiter. Dass du Enrico den Hals umdrehen willst, kann ich gut verstehen. Und ich werde dir dabei nicht im Weg stehen.«
Harald starrte Kai an, als wäre er ein Gespenst. Schließlich nickte er. »Okay. Okay, okay, okay, okay.« Und dann brach er zusammen.
89
Gegen vierzehn Uhr kamen Eleonore und Mareike nach La Pecora zurück. Mareikes Fuß war eingegipst, beim Ultraschall hatte man nun doch festgestellt, dass die Achillessehne angerissen war. Mareike war guter Dinge, jetzt wusste sie wenigstens, woran sie war und wie sie sich verhalten musste. Die drei Wochen im Gehgips würden schnell vergehen.
Mareike wunderte sich, dass Jan bei ihrer Rückkehr nicht wie üblich auf sie losstürmte, und Bettina erklärte, Mareike müsse sich keine Sorgen machen, Jan sei mit dem Fahrrad zu Enrico, ihrer gestrigen neuen Bekanntschaft, gefahren, um mit ihm zusammen ein Gehege für Harry zu bauen. Er warte darauf, am Nachmittag von ihnen abgeholt zu werden.
»Was?«, schrie Mareike. »Du lässt ihn hier allein durch die Gegend fahren zu einem wildfremden Mann, den du gestern vielleicht mal eine Stunde gesprochen hast? Bist du völlig verrückt geworden?«
Bettina war vollkommen konsterniert über Mareikes Ausbruch. »Ich weiß gar nicht, was du hast und warum du mich hier dermaßen anbrüllst? Er fährt Fahrrad. Na und? Er ist alt genug zum Fahrradfahren, und hier sind überall Wald- und Wanderwege. In Berlin fährt er auch mit dem Fahrrad zum Fußball, und da tickst du nicht aus. Dabei ist das in Berlin tausendmal gefährlicher. Und er fährt zu einem Mann, den ich kenne und den ich sehr nett finde. Wo ist das Problem, Mareike?« Bettina war jetzt wütend.
Mareike setzte sich langsam auf einen Liegestuhl und legte das eingegipste Bein hoch, das unter dem Gips heftig pulsierte. »Das Problem ist«, sagte sie leise, »dass hier in dieser Gegend, genau hier, in einem Umkreis von zwanzig Kilometern, wahrscheinlich ein Kindermörder sein Unwesen treibt. Drei kleine Jungen in Jans sind Alter sind spurlos verschwunden. Eleonore hat es mir erzählt, und dann hab ich mit der Mutter eines vermissten Kindes gesprochen. Ich hab dir nichts davon gesagt, damit du nicht wieder sauer wirst, wenn ich mich im Urlaub mit diesen Dingen beschäftige.«
»Hättest du es mir mal gesagt«, zischte Bettina. »Dann hätte ich ihn nicht fahren lassen.«
Edda stand in der offenen Küchentür und hatte das Gespräch zwischen Bettina und Mareike mitgehört. »Ich bin übrigens derselben Meinung wie Bettina«, sagte sie, »ich glaube auch, dass Enrico okay ist« Dann sah sie Mareike an. »Meinst du nicht, dass du maßlos übertreibst? Dass du allmählich hinter jedem Baum einen Mörder siehst? Ich finde das langsam krankhaft!«
»Hoffentlich hast du Recht. Hoffentlich übertreibe ich maßlos und bilde mir das alles nur ein. Habt ihr die Nummer von Enrico? Es würde mich sehr beruhigen, wenn ich wüsste, dass er dort gut angekommen ist.«
»Enrico hat kein Telefon«, sagte Bettina, »nur ein Handy, aber das schaltet er nur im absoluten Notfall ein. Er ist nicht zu erreichen, weil er seine Ruhe haben will. Vielleicht hat er auch 'ne Telefonphobie.«
»Ruf mal Jan an. Hat er sein Handy dabei?«
Bettina schüttelte den Kopf. »Ich hab es vorhin auf der Erde gefunden. Er hatte es neben Harrys Schüssel liegen lassen.«
»Verdammt!« Mareike schlug vor Wut auf den Liegestuhl. Die Gedanken der Nacht schossen ihr wieder durch den Kopf. Telefonphobie! Der arrogante Single, der nicht gestört werden will. Gut, Bettina hatte erzählt, seine Frau wäre gerade in Deutschland bei ihren Eltern, aber das musste ja nicht stimmen. Man konnte viel erzählen, wenn der Tag lang war.
»Lass uns hinfahren!«, sagte Mareike. »Bitte!«
»Jetzt schon?« Bettina sah auf die Uhr. »Es ist erst zwei! Ich habe Jan gesagt, wir kommen nachmittags. Er wird sauer sein
»Es mag sein, dass ich auf Grund meines Berufes überempfindlich bin und hinter jedem Baum einen Mörder sehe, aber ich möchte jetzt unbedingt und zwar sofort hinfahren, Bettina!« Ihr Ton war äußerst scharf.
»Na gut. Meinetwegen. Ich hol nur meine Sachen.« Sie ging ins Haus.
Edda setzte sich ihren pinkfarbenen Rucksack auf den Rücken. »Ich komme mit.«
»Nein«, sagte Mareike, »du bleibst hier. Nicht böse sein, aber ich möchte, dass
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