Der Kindersammler
sich fürchterlich langweilen. Kai orderte einen halben Liter offenen Chianti und dazu eine große Flasche Acqua minerale frizzante. Sie prosteten sich zu und tranken, Anne rauchte, und als ihre Gnocchi und Kais Ravioli kamen, war der Chianti leer. Kai orderte eine weitere Karaffe.
Da erinnerten sie sich wieder an Annes Geburtstag, und Kai gratulierte und fragte, wie alt sie geworden sei, und Anne meinte, das sähe man doch, sie sei jetzt achtundzwanzig. Kai grinste, und Anne lachte so sehr, dass sie ein paar Gnocchibröckchen über den Tisch spuckte, was ihr ungeheuer peinlich war.
Aber Kai beseitigte das Malheur mit seiner Serviette, klemmte sie hinter die Blumenvase und benahm sich, als sei nichts geschehen.
»Warum suchen Sie ein Haus hier in der Toscana ganz für sich allein?«, fragte Kai.
Anne sah ihn aufmüpfig an. »Weil ich mit meinem Sohn zusammen sein will, endlich einmal, nach so vielen Jahren und weil mein Mann in Deutschland meine beste Freundin vögelt.«
Es verschlug Kai einen Augenblick die Sprache.
Die Gnocchi mit Pestosoße seien köstlich, meinte Anne, und überhaupt sei das Leben wundervoll. Diese Erkenntnis untermalte sie mit einer großen Geste und stieß ihr Rotweinglas um.
»Kein Problem«, murmelte Kai und schenkte ihr erneut ein.
Als das Coniglio umido, das Kaninchen in Soße, kam, orderten sie den dritten halben Liter.
»Heute habe ich Geburtstag, und heute beginnt mein neues Leben«, meinte Anne. »Es kann der Anfang vom Anfang und es kann der Anfang vom Ende sein. Mir ist alles recht. Aber ich finde, wir sollten uns duzen.«
Sie hob ihr Glas, Kai ebenfalls. Diese Frau überrannte ihn, aber er hatte kein Problem damit. Er sah ihr in die Augen und lächelte. Ihre Augen hatten eine ungewohnte Tiefe, und wenn man ihnen auf den Grund ging, verlor man sich in einer totalen Leere. Ganz gleich, welches Theater sie spielte, ihre Traurigkeit, die alles überlagerte, alles auslöschte, was früher einmal in ihren Augen geleuchtet hatte, konnte sie nicht wirklich verbergen.
»Möchtest du eine Nachspeise?«, fragte er sie.
»Einen Espresso. Er ist mir zwar viel zu bitter und mit Zucker schmeckt er widerlich, aber wenn alle Italiener nach dem Essen einen Espresso trinken, trinke ich auch einen Espresso nach dem Essen. Wenn ich hier lebe, will ich das machen, was alle machen. Ich werde mir jeden Tag eine Zeitung kaufen, werde sie lesen und sie dann irgendwo liegen lassen. Ich werde im Sommer die Fensterläden schließen und im Zimmer das Licht anmachen. Ich werde vor meinem Haus sitzen und darauf warten, dass irgendjemand vorbeikommt und mit mir redet. Und das wird wahnsinnig aufregend sein.«
»Due tafle, rief er der Bedienung zu, »e il conto, per favore!«
»Ich lade dich ein«, sagte sie. »Das war abgemacht. Und was das Haus betrifft — Geld spielt keine Rolle. Wenn es mir gefällt und wenn es kein Wucher ist, dann spielt es keine Rolle. Na, hört man das gern? Schlägt dein Maklerherz bei so einem Satz höher?« Sie wurde auf einmal aggressiv und wusste nicht, warum.
Er war nicht böse, sondern ganz sanft und leise. »Eine kleine Siesta wird dir jetzt gut tun.«
Sie sah ihn an. »Bringst du mich ins Hotel?«
Er nickte. Die Bedienung brachte die Espressi und den Kassenbon. Anne legt das Geld dazu und kippte den Espresso hinunter wie einen lästigen Schnaps, den man trinken muss, aber nicht trinken will.
»Gehen wir.«
Der große Parkplatz, auf dem lediglich drei Autos parkten, war nur wenige Schritte von der Osteria entfernt.
»Ein wundervoller Geburtstag«, sagte sie. »Kannst du noch fahren?«
»Ja, ja. Es ist ja nicht weit.«
Sie hängte sich schwer in seinen Arm. »Das ist gut. Ich könnte jetzt nämlich nicht mehr fahren.«
Während der Fahrt fiel ihr Kopf gegen die Scheibe, und sie schlief ein. Kai sah sie an. Sie war die lustige und die schwarze Witwe zugleich. Unberechenbar. Auf jeden Fall wollte er verstehen, was sie vorhatte. Morgen würde er ihr das Tal zeigen. Eigentlich hätte er ihr vorher noch ein paar andere Immobilien anbieten können — aber in diesem Fall wurde er seinen Prinzipien untreu. Sie war zu ungeduldig, und er war sich hundertprozentig sicher, dass das Tal optimal für sie sein würde.
Erst als er vor dem Hotel hielt, schreckte sie auf.
»Soll ich noch einen Moment mit nach oben kommen?«
Sie sagte nichts, lächelte und stieg aus. »Bis morgen«, murmelte sie noch, bevor sie im Hotel verschwand. Kai sah ihr hinterher. Er hatte es auch nicht
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