Der Kindersammler
unwirklich, lebensfremd.
Anne saß in einer merkwürdigen Sesselschale. Sie wusste nicht, was Clubsessel waren, aber so stellte sie sie sich vor. Dieses Büro hatte ein Mann eingerichtet, so viel war unübersehbar, und was sich hinter der nächsten Tür befand, war völlig austauschbar. Auch ein Zahnarztstuhl oder die Schrankwand eines Notars mit bürgerlichen Gesetzesbüchern und meterweise Kommentaren wären möglich gewesen.
Monica kam hinter ihrem Schreibtisch hervor und reichte Anne einen Katalog. »Das sind unsere aktuellsten Angebote. Vielleicht haben Sie Lust, schon mal hineinzuschauen?«
Anne nickte und schlug den Katalog wahllos in der Mitte auf Die angegebenen Ortsnamen sagten ihr gar nichts. Sie schlug den Katalog wieder zu.
»Das nützt mir nicht viel. Ich suche etwas in einer ganz bestimmten Gegend, und wenn ich >Castelnuovo< oder >Castelfranco< lese, hab ich keine Ahnung, wo das liegt«
»Verstehe.« Monica nahm den Katalog wieder an sich und legte ihn zurück ins Fach. »Na gut, aber Herr Gregori kommt ja auch gleich. Möchten Sie etwas trinken?«
»Ein Glas Wasser wäre schön.«
In diesem Moment betrat Kai Gregori das Vorzimmer seines Büros. Seine Haare waren noch nass, die Gesichtshaut gerötet, die Poren weit. Offenbar hatte er kurz zuvor geduscht. Er reichte Anne die Hand.
»Frau Golombek?« Anne nickte. »Gregori. Ich muss mich entschuldigen, dass Sie warten mussten, aber ich bin aufgehalten worden.«
»Kein Problem. Ich hab's nicht eilig.«
Er lächelte, und Anne lächelte zurück. Kai öffnete seine Bürotür. »Bitte, kommen Sie herein. Monica, machen Sie uns einen Kaffee?« Monica sah Anne fragend an. »Kaffee oder Wasser?«
»Wasser.« Anne folgte Kai ins Büro.
Die Tankuhr des schwarzen Mercedes-Jeeps stand auf 25 Prozent. Normalerweise fuhr er mit seinen Klienten zuerst zur Tankstelle, tankte den Wagen auf und rechnete dann am Ende der Besichtigungstour das verbrauchte Benzin ab. Heute tat er es nicht und fragte sich, warum. Vielleicht war es der heimliche Wunsch seines Unterbewusstseins, ihr zu signalisieren, die Fahrt sei eher privater als beruflicher Natur, vielleicht wollte er locker und unkompliziert erscheinen, nicht den spießigen überkorrekten Makler heraushängen lassen ..., vielleicht wollte er auch einfach nur schnell los. Mit ihr in die Berge fahren, ohne jede Verzögerung.
Er glaubte, verstanden zu haben, was sie suchte. Er wusste zwar nicht, warum sie sich unbedingt in Italien und speziell in dieser Gegend verkriechen wollte — denn anders konnte man es nicht ausdrücken —, aber das würde er sicher noch herausfinden. Er hatte auch ein ganz bestimmtes Objekt für sie im Auge, aber seine Maklererfahrung hatte ihn eines gelehrt: Zeige das optimale Objekt nie als Erstes und nie als Letztes. Am Anfang wurde es nicht ernst genommen, nur Milliardäre oder Spinner kauften das Erstbeste, was sie sahen, und nach fünf verworfenen Objekten geriet es meist in Vergessenheit und litt unter dem Eindruck der Fehlschläge. Zeigte man das Spitzenobjekt dagegen als Letztes, waren die Kunden meist schon entnervt, hatten die Zuversicht, etwas Passendes zu finden, bereits aufgegeben und trauten dem passenden Objekt keine optimalen Qualitäten mehr zu. Es war die Kunst des Maklers zu erahnen, welches Haus der Kunde sicher kaufen würde, und die Präsentation dann genau zu platzieren. Insofern würde er mit Anne Golombek mindestens zwei Tage unterwegs sein. Eine wundervolle Perspektive, denn Anne Golombek hatte etwas, das ihn magisch anzog. Vielleicht war es ihre Distanz, oder ihr Geheimnis, das sie zweifellos hatte, aber zu verbergen suchte. Darüber hinaus fand er sie ungeheuer attraktiv, und ihr Wunsch, ein Haus ganz für sich allein zu finden, war einfach faszinierend. In den letzten Jahren hatte er es überwiegend mit Paaren um die sechzig zu tun gehabt, die ein Ferienhaus oder eine stilvolle Residenz fürs Alter suchten.
Sie bogen gerade von der Hauptstraße Grosseto/Arezzo in Richtung Bucine ab, als sie ihn von der Seite spöttisch ansah.
»Warum zeigen Sie mir nicht erst mal ein Expose bevor Sie mich durch die Gegend kutschieren? Es könnte ja sein, dass das alles verlorene Liebesmüh ist, und dann haben Sie Zeit und Geld verplempert.«
»Vielleicht ist das meine Art zu arbeiten. Immobilien kauft man nicht am Schreibtisch. Ob einem ein Haus gefällt oder nicht, das kann man nicht anhand eines Fotos entscheiden. Man muss die Cegend kennen, das Umfeld auf sich wirken
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