Der Kirschbluetenmord
in Verbindung bringt. Es darf auf keinen Fall geschehen, daß den Nius weitere Ungelegenheiten bereitet werden. Der Fall ist abgeschlossen. Der wahre Mörder … wurde gefunden und bestraft.«
»Aber …«
»Der Fall ist abgeschlossen!« Wie um seine Worte zu unterstreichen, nickte Ogyū Yamaga und Hayashi zu. »Ihr könnt jetzt gehen.«
Die seidenen Umhänge raschelten, als die beiden yoriki aufstanden und sich verbeugten. Sano konnte ihre verächtlichen Blicke spüren, als sie das Zimmer verließen.
»Ich möchte die Nachforschungen weiterführen«, sagte Sano, obwohl er wußte, daß ein derart offener Widerstand seine Lage nur verschlechtern konnte.
Ogyū tauschte einen verstohlenen Blick mit Katsuragawa, bevor er erwiderte: »Ich fürchte, Ihr werdet in Zukunft weder in diesem noch in sonst einem Fall Nachforschungen anstellen, Sano -san. Mit sofortiger Wirkung seid Ihr Eures Amtes als yoriki der Stadt Edo enthoben und werdet auf alle damit verbundenen Rechte, Pflichten und Privilegien verzichten.«
Die Worte trafen Sano wie ein körperlicher Schlag; tatsächlich schwankte er unter ihrer Wucht. Was für eine Schande für ihn und seine Familie! Ogyūs Gesicht verschwamm vor seinen Augen. Geräusche hallten ihm in den Ohren; im Zimmer wurde es schummrig. Von den Worten des Magistraten nahm er nur einige zusammenhanglose Worte auf.
»… Insubordination … Unfähigkeit … Treulosigkeit … Es war von Anfang an ein Fehler, Euch dieses Amt zu übertragen … charakterlich ungeeignet … Wenn Ihr nun die Güte haben würdet, sofort Eure Amtsstube und Euer Quartier in der Kaserne zu räumen …«
Vor Verzweiflung vergaß Sano seine Nachforschungen, die ihm Augenblicke zuvor noch so wichtig erschienen waren. Wie würde sein Vater das alles aufnehmen?
»Sano -san. Begreift Ihr, weshalb ich Euch entlassen muß?« fragte Ogyū.
Sano öffnete den Mund, brachte aber kein Wort hervor.
Ogyū schien erwartet zu haben, daß Sano sich wehren oder darum bitten würde, ihn im Amt zu belassen, denn er sagte: »Meine Entscheidung ist endgültig. Ihr werdet keine Gesuche stellen. Habt Ihr verstanden?«
»Ja, ehrenwerter Magistrat«, brachte Sano flüsternd hervor.
»Und habt bitte die Freundlichkeit, Hamada Tsunehikos Asche meinem Schreiber zu übergeben. Ein offizieller Vertreter wird sie den Eltern des Jungen überreichen und ihnen im Namen der Stadt das Beileid aussprechen.«
Sano verspürte keine Erleichterung, daß ihm diese Aufgabe erspart blieb – im Gegenteil: Wie konnte Ogyū es ihm antun und ihm die Möglichkeit nehmen, dieser Verpflichtung selbst nachzukommen? Doch die betäubende Lähmung des Schocks war so stark, daß Sano nichts erwiderte. Er nickte nur. Es spielte keine Rolle mehr.
»Ihr könnt gehen. Und …« Ogyū hielt inne; dann fügte er hinzu: »Ich hoffe, in Eurem zukünftigen Beruf ist Euch mehr Erfolg beschieden.«
Sano erhob sich wie in Trance.
Zum erstenmal meldete Katsuragawa sich zu Wort. »Ich werde Euch begleiten.«
Sano bedachte seinen Schutzherrn und Gönner mit einem mißbilligenden Blick. Er wollte mit niemandem reden. Er wollte seine Wohnung in der Kaserne und seine Schreibstube räumen und dann so schnell wie möglich verschwinden. Er brauchte Zeit, darüber nachzudenken, wie er seinem Vater diese Sache beibringen sollte. Doch Katsuragawa stand schon neben ihm. Er legte Sano die Hand auf die Schulter.
»Wir müssen uns unterhalten, Sano -san« , sagte er.
Mit festem Griff führte er Sano zum Eingang, wo beide Männer ihre Sandalen überstreiften. Dann geleitete Katsuragawa seinen Schützling eine stille Gasse hinunter, die zwischen der Villa Ogyūs und der Nachbarsvilla hindurchführte.
Eine Zeitlang gingen die beiden schweigend nebeneinander. Sano warf einen Seitenblick auf Katsuragawa und betrachtete jene äußeren Merkmale dieses Mannes, die ihn schon bei ihrem ersten Treffen so sehr beeindruckt hatten. Die breiten Schultern, zwischen denen der kurze, dicke Hals kaum zu sehen war. Das unverkennbare Profil mit den vollen Lippen, den großen Nasenflügeln und den klugen, wachen Augen. Die Wölbung seines üppigen, aber festen Bauches. Katsuragawas Haltung strahlte Selbstvertrauen aus; seine beherrschten Bewegungen und die langsamen, bedächtigen Schritte verrieten die schlummernde körperliche Kraft dieses Mannes. Obwohl Sano größer war, kam er sich neben Katsuragawa klein und unbeholfen vor.
»Als Euer Schutzherr übernehme ich für das, was geschehen ist, ein bestimmtes
Weitere Kostenlose Bücher