Der Kirschbluetenmord
Vorurteile mir gegenüber zurückzustellen, bis Ihr gehört habt, was ich Euch berichten muß. Dann könnt Ihr immer noch entscheiden, ob ich die Wahrheit sage und ob Ihr meine Informationen an den Shōgun weitergeben solltet oder nicht.« Ohne Todas Zustimmung abzuwarten, begann Sano zu erzählen. Er berichtete von Anfang an, als Ogyū ihn mit der Untersuchung des angeblichen shinjū betraut hatte.
So unscheinbar Toda auch war – eine bestimmte, typische Eigenart besaß er dennoch: Mit der Spitze des rechten Zeigefingers strich er immer wieder geistesabwesend über die Nägel der linken Hand, einen nach dem anderen. Schweigend hörte er seinem Besucher zu. Als Sano geendet hatte, ruhte der starre, unbewegliche Blick des metsuke lange Zeit auf seinem Gesicht. Irgendwo auf dem Palastgelände ertönten das rasche, abgehackte bum-bum-bum explodierender Feuerwerkskörper sowie der rhythmischere Klang von Trommeln. Sano wand sich innerlich, während er auf die Antwort des metsuke wartete.
Schließlich sagte Toda: »Ihr behauptet also, daß Niu Masahito – und nicht der Sumo-Ringer Raikō, der hingerichtet wurde – Noriyoshi ermordet hat, um zu verhindern, daß er von dieser Verschwörung der Einundzwanzig berichten konnte.«
»Genauso ist es«, erwiderte Sano. Hatte er den metsuke überzeugt? Todas nüchterne Stimme verriet nichts. Vielleicht ist es ja ein gutes Zeichen, sagte sich Sano, daß Toda dich nicht schon längst aus dem Palast hinauswerfen ließ. Plötzlich fiel ihm ein, daß er die Sandale und das Seil vergessen hatte. Er legte beides vor Toda auf den Boden und erklärte ihm, was es mit den beiden Gegenständen auf sich hatte. »Und hier sind meine Beweise«, sagte er abschließend.
»Ihr glaubt also, der junge Fürst Niu hat die eigene Schwester ermordet, weil auch sie diese angebliche Verschwörung aufgedeckt hatte oder weil sie Zeugin eines Mordes gewesen ist? Und Ihr glaubt, daß der Mord an Eurem Schreiber in Wirklichkeit der fehlgeschlagene Versuch war, Euch zu töten? Und daß Fürst Niu auch dafür verantwortlich ist?«
»Ja.«
Toda nickte langsam, während er wieder über die Fingernägel seiner Linken strich. »Da habt Ihr Euch ein sehr phantasievolles Märchen ausgedacht«, sagte er.
Sanos sah seine Felle davonschwimmen. »Ihr glaubt mir nicht, stimmt’s?« Im stillen schalt er sich einen Narren, sich derart unrealistische Hoffnungen gemacht zu haben. Hochrangige Beamte erlangten ihre Stellungen, indem sie sich vom Strom der Ereignisse treiben ließen, und nicht, indem sie sich dagegen stemmten. Sano hätte es wissen müssen.
»Ich bitte um Vergebung, falls Ihr den Eindruck habt, ich hätte Zweifel an Eurer Aufrichtigkeit, Sano -san «, sagte Toda. »Das stimmt nicht. Wie ich sehe, glaubt Ihr tatsächlich an Eure Geschichte. Aber seid Ihr Euch wirklich über Eure Motive im klaren? Nun? Ich will sie Euch nennen. Erstens möchtet Ihr Euch an den Nius rächen, weil Ihr ihnen einen Großteil der Schuld an dem Mißgeschick gebt, das Euch widerfahren ist. Zweitens wollt Ihr beweisen, daß Ihr es besser als Euer ehemaliger Vorgesetzter versteht, einen Mordfall zu lösen. Und drittens wollt Ihr die Schuld begleichen, die Ihr Euch am Tod Eures Schreibers gebt. Wie könnt Ihr unter all diesen Voraussetzungen erwarten, daß jemand Euch Glauben schenkt?«
»Nein!« protestierte Sano ungestüm. »Ich habe mir das alles nicht bloß ausgedacht! Und Ihr irrt Euch, was …«
Er verstummte, als ihm klar wurde, daß Toda sich ihm bereits in dem Augenblick verschlossen hatte, als er seinen Namen nannte. Diese Ungerechtigkeit erfüllte ihn mit wildem Zorn. Doch er bezähmte seine Wut. Sano wußte, daß es gerade jetzt um wichtigere Dinge ging als um seinen verletzten Stolz. Es konnte sich nicht erlauben, es sich mit Toda zu verscherzen.
»Bitte, stellt wenigstens Nachforschungen über Fürst Niu und dessen Freunde an, bevor Ihr endgültig als falsch zurückweist, was ich Euch berichtet habe«, bat er. »Zum Wohle des Shōgun. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit für einen Mordanschlag noch so gering ist – solltet Ihr den Shōgun nicht trotzdem davon in Kenntnis setzen, damit er Schutzmaßnahmen ergreifen kann?«
»Der Shōgun wird bereits von hervorragenden Kriegern beschützt – gegen wirkliche Bedrohungen. Seine militärische Macht ist gewaltig. Eine kleine Gruppe von Verschwörern, wie Ihr sie geschildert habt – sofern es sie tatsächlich gibt –, hat nicht die geringste Chance. Die Zeiten, als
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