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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Bevor sie sich wieder in der Gewalt hatten und den Gegner attackieren konnten, ergriff Sano die Flucht. Als er an den beiden Männern vorüberstürmte, erkannte er den dōshin: Es war jener Mann, der auf Sanos Befehl die Nachforschungen bei der Brandstiftung geleitet hatte – an jenem Tag, als Sano zum erstenmal von dem angeblichen shinjū Yukikos und Noriyoshis gehört hatte. Wie lange schien das schon her zu sein!
    Als Sano die Mordlust in den kleinen, grausamen Augen des dōshin sah, rannte er die Böschung entlang und kämpfte sich das steile Stück bis zur Brücke hinauf. Zu gern hätte er sich umgeschaut, um sich davon zu überzeugen, daß der Mann, der den Schwerthieb abbekommen hatte, nicht tot war, sondern nur verwundet, so, wie Sano es beabsichtigt hatte.
    Hatte er den Winkel seines Schlages falsch geschätzt? Oder die Schlagwucht? Sano blieb keine Zeit, sich Gewißheit zu verschaffen. Der dōshin und sein zweiter Helfer hatten sich bereits aufgerappelt und die Verfolgung aufgenommen.
    »Stehenbleiben! Ich befehle dir, stehenzubleiben!« rief der dōshin.
    Der unverletzte Helfer – jünger, schneller und beweglicher – hatte derweil zu Sano aufgeschlossen. Der Mann schlug mit der Keule nach ihm, traf ihn aber nur an der Schulter. Sano keuchte vor Schmerz, als ihm die Nägel der Keule ins Fleisch drangen, doch er rannte weiter. Er wollte nicht kämpfen, wollte den Mann nicht töten – aber er wollte auch nicht für ein Verbrechen sterben, das er nicht begangen hatte. Wenn sein Vater von seiner Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung erfuhr, würde es den Tod des alten Mannes bedeuten. Vor allem aber wollte Sano den Mörder Noriyoshis, Yukikos, Tsunehikos und O-hisas nicht ungestraft davonkommen lassen.
    Und nun gab es für Sano einen weiteren, noch wichtigeren Grund, mit allen Mitteln um sein Leben zu kämpfen: Außer ihm glaubte niemand, daß Fürst Niu den Shōgun ermorden wollte. Infolgedessen war er der einzige, der dem Fürsten und seinen Mitverschwörern einen Strich durch die Rechnung machen konnte.
    Sanos schnelle Schritte pochten über die Brücke. Als die Zuschauer, die sich versammelt hatten, ihn erkannten, stießen sie entsetzte Schreie aus.
    »Das ist ja Sano Shutarōs Sohn!«
    »Was hat er getan?«
    »Sieht so aus, als hätte er jemanden ermordet.«
    Daß diese Leute, die ihn sein Leben lang kannten, ihm einen Mord zutrauten, erfüllte Sanos Herz mit Scham. Am liebsten wäre er stehengeblieben und hätte ihnen erklärt, daß man ihn hereingelegt hatte; aber diese Möglichkeit besaß er nicht. Er mußte um sein Leben laufen, oder er würde für immer und ewig die Chance verlieren, seine Unschuld zu beweisen.
    »Haltet ihn auf!« rief der Helfer des dōshin und keuchte, als er einen weiteren Hieb auf Sanos Schulter landete.
    Der dōshin, der weit zurückgefallen war, brüllte: »Du bist ein toter Mann, Sano Ichirō! Du kannst nicht ewig fliehen!«
    Sano wedelte mit seinem blutigen Schwert und trieb die Menge auseinander. Einige Zuschauer wichen erschrocken bis ans Brückengeländer zurück, um Sano aus dem Weg zu gehen. Ein Mann sprang sogar über das Geländer und landete mit lautem Klatschen im Kanal. Sano stürmte über die Brücke. Angst und Verzweiflung verliehen ihm ungeahnte Kräfte; er rannte so schnell wie noch nie im Leben. Die Hiebe mit der Keule gingen ins Leere, als Sano den Verfolgern davonzog. Doch als er zum Tor gelangte, sah er, daß ihm dort weiterer Ärger bevorstand: die beiden Wachtposten.
    »Der Mann ist ein Mörder!« rief der Helfer des dōshin den Posten zu. »Ergreift ihn!«
    Sano hatte das Tor kaum hinter sich gelassen, als auch die Posten sich der Gruppe der Verfolger anschlossen. Sein Herz klopfte rasend schnell; seine Brust hob und senkte sich schwer, als er verzweifelt nach Atem rang. Er hörte weitere Rufe. Hörte das metallene Zischen, als Schwerter aus Scheiden gezogen wurden. Hörte hinter sich das Stampfen von vier statt von zwei Paar rennender Füße. Als er hastig in das Labyrinth enger Gassen eintauchte, durchzuckte ein Krampf seine rechte Körperseite. Sein Tempo ließ nach. Ein hastiger Blick über die Schulter zeigte ihm, daß die Verfolger aufholten. Sanos Keuchen verwandelte sich in ein wildes Schluchzen. Wenngleich er sich immer noch dazu zwang, weiterzulaufen, lag ihm bereits der bittere Geschmack der Niederlage auf der Zunge. Seine Haut prickelte in Erwartung eines Schwerthiebs und der schrecklichen Schmerzen, wenn die Klinge ihm den Rücken

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