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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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stehen; der offene Türeingang umrahmte ihre Gestalt. Heißer Zorn verzerrte ihr schönes Gesicht. Midori rückte dicht an Sano heran und stieß ein leises Wimmern aus. Für einen Augenblick standen die drei sich in eisigem Schweigen gegenüber.
    Dann sagte Fürstin Niu: »Gehe sofort auf dein Zimmer, Midori!« Der Zorn in ihrer Stimme war einer tödlichen Ruhe gewichen, doch ihre Miene hatte sich nicht verändert.
    Ohne noch einen Blick auf Sano zu werfen, ging Midori mit schleppenden Schritten, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, über einen Pfad, der aus dem Garten führte.
    »Und was Euch betrifft, yoriki Sano«, fuhr die Fürstin fort, »so rate ich Euch, sofort zu gehen. Und nie wieder hierherzukommen.«
    Sano hörte Schritte im Rücken. Er drehte sich um und sah den Wächter, der ihn wütend und vorwurfsvoll anstarrte.
    »Bringe ihn fort!« befahl Fürstin Niu dem Mann.
    Sano ließ sich vom Wächter zum Tor am Ausgang geleiten. Er fühlte sich erleichtert und unsäglich dumm zugleich. Was für eine Ironie es wäre, wenn nach all den Gefahren, die er eingegangen war, sein Lohn nun darin bestand, daß er seine Karriere zerstört hatte, nur um sich die dunklen Andeutungen eines jungen Mädchens anzuhören.
    Erst als Sano auf der Straße und in Sicherheit war, bedauerte er, Midoris Geschichte nicht zu Ende gehört zu haben. Möglicherweise hätte das Mädchen ihm den Beweis liefern können, den er brauchte, um Magistrat Ogyū von der Notwendigkeit weiterer Nachforschungen zu überzeugen. Vielleicht, überlegte er sich, gehst du das Risiko ein und versuchst, Midori zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu befragen – nachdem du die Familie Noriyoshi aufgesucht hast.
4.
    M
    idori rannte durch den Garten, stürmte durch das innere Tor und eilte die Treppe hinauf, die zur Tür ihrer Schlafkammer in den Frauengemächern führte. Doch statt das Zimmer zu betreten, hielt sie plötzlich inne, schaudernd im kalten Wind. Dann traf sie eine impulsive Entscheidung. Sie zog ihre holzbesohlten Sandalen aus und trug sie an den Riemen mit sich, während sie auf Strümpfen und mit leichten, schnellen Schritten über die Veranda huschte, an einer Reihe von Türen vorbei, die sich im Schatten des überhängenden Dachvorsprungs befanden.
    Abrupt blieb sie vor einem geöffneten Fenster stehen, als sie die Stimmen der Hausmädchen hörte, die drinnen den Flur fegten und sich dabei angeregt unterhielten. Midori duckte sich unter dem Rahmen hindurch, so daß die Mädchen sie nicht sehen konnten, während sie vorüberschlich. Als Midori um eine Ecke bog, erklangen weitere Frauenstimmen, durch eine dünne Fensterbespannung aus Reispapier gedämpft. Es waren die Konkubinen ihres Vaters, die sich mit Nähen oder Sticken beschäftigten und mit ihren Dienerinnen den neuesten Klatsch austauschten. Ein Säugling schrie. Jemand begann auf einer Shamizen eine Melodie zu spielen und hielt abrupt inne.
    »Nein, nein!« hörte Midori den Musiklehrer ihrer jüngeren Schwestern schimpfen. »Zu schnell!«
    Die Melodie setzte erneut ein, diesmal langsamer. Midori huschte am Musikzimmer vorbei. Sie war froh, daß die Kinder beschäftigt waren und ihr nicht hinterherwatscheln konnten.
    Schließlich gelangte sie ans Ziel, eine Tür am nördlichen Ende der Frauengemächer. Midori öffnete und spähte vorsichtig hindurch. Der Flur hinter der Tür war leer. Sie huschte darüber hinweg und durch eine weitere Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs in Yukikos Schlafkammer, die auf Fürstin Nius ausdrücklichen Befehl niemand betreten durfte.
    Midori schob die Tür hinter sich zu und blickte sich im Zimmer um. Sämtliche Fenster waren geschlossen, so daß nur ein gedämpfter Lichtschimmer aus dem Flur ins Zimmer fiel. Midori konnte kaum das Muster der silbernen Blätter auf der weißen Papiertapete erkennen, welche die freien Flächen an den Wänden zwischen den Holztüren bedeckte. Das Kohlebecken auf dem Fußboden war längst erloschen und strahlte keine Wärme mehr ab. Midori durchrieselte ein Schauer, der nicht nur auf die Kälte im Zimmer zurückzuführen war. Sie schlug die Arme um den Oberkörper, um sich Wärme und Trost zu spenden.
    Alle persönlichen Gegenstände Yukikos – ihr Bettzeug, die Sitzkissen, die Toilettenartikel, das Schreibpult und das Schreibzeug – waren aus dem Zimmer geschafft worden. Die Matten waren gefegt und die Schränke, die eine Wand einnahmen, geschlossen. Das leere Zimmer sah aus, als hätte Yukiko es nie

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