Der Klabautermann
sitzen, zusammen mit acht anderen, auserwählten Personen, meistens vier Ehepaaren, und das drei, vier oder mehr Wochen lang, an jedem Seetag, kann entnervend wirken. Oft sind die bevorzugten Personen nicht gerade die unterhaltendsten, und wenn auch noch Vorstandsmitglieder der Reederei mit ihren Damen am Tisch sitzen müssen, könnte man einem Kapitän für seine guten Nerven gratulieren.
Überhaupt ist ein Kapitän über alles unterrichtet, was an Bord geschieht – soweit man ihm das sagt. Er kennt die Sorgen seines Oberzahlmeisters, auch Hoteldirektor genannt; er weiß, was unten bei den riesigen Maschinen los ist, wo der Chefingenieur, einfach Chief genannt, die Seele eines Schiffes, eben die Motoren, überwacht; er kennt die Probleme der chinesischen Wäscher in der Bordwäscherei, ganz unten auf Deck C, die ihre eigene chinesische Küche haben und die kaum ein Passagier zu Gesicht bekommt, weil sie nie an Deck erscheinen, und er muß eingreifen, wenn massive Beschwerden von den Kreuzfahrern bei ihm landen, etwa: »An Bord ist ein Flegel, der dauernd besoffen unsere Frauen belästigt!« Oder ein Steward verpaßt nach einem Landgang das Schiff und wird mit einem Lotsenboot hinterhergebracht – das heißt dann Verwarnung und Eintragung in die Personalpapiere. Oder ein Passagier bricht sich beim Shuffleboardspiel das Bein, ein völlig unsinniger Unfall – das bedeutet einen Bericht für die Reederei, denn die Behandlung im Schiffshospital muß von ihr bezahlt werden.
Oder … oder … oder …
Man denke nicht, Kapitän eines Luxusschiffes zu sein, sei ein Zuckerlecken. Es gibt Kapitäne, die erholen sich von so einem schwimmenden Hotel, indem sie zur Abwechslung einen Containerfrachter gemütlich durch den Ozean schaukeln. Der tägliche Umgang mit fast tausend Menschen auf engstem Raum erfordert eine Lederhaut. Und daß ein Kapitän ständig freundlich zu sein hat, ist Voraussetzung für diesen Beruf. Er darf zu einem sich beschwerenden Passagier nie ehrlich sagen: »Lassen Sie mich doch mit Ihrem lächerlichen Scheißdreck in Ruhe!« Im Gegenteil: Man muß ihn geduldig anhören und ihm Hilfe versprechen.
Natürlich gibt es auch viele Freuden für einen Kapitän an Bord. Das Captain-Dinner, das Gala-Büfett, die Musikabende auf dem Schiff, der obligatorische Maskenball – komischerweise am meisten beliebt ist ein bayerischer Abend – und, sofern man den Äquator überfährt, die Äquatortaufe. Die größte Freude aber ist es, allein in seiner Wohnung zu sein, befreit von all dem, was man Repräsentation nennt.
Einen solchen Abend genoß jetzt auch Kapitän Hellersen. Das Abendessen hatte er hinter sich, er hatte am Tisch höflich und nett wie immer der Konversation seiner Kapitänstischgäste gelauscht, die vom schwangeren Hausmädchen bis zu den neuen Aktienkursen pendelte, und hatte sich dann entschuldigt, am Gastspiel des Schlagersängers Jimmy Hay nicht teilnehmen zu können. Man komme in schwierige Gewässer, hatte er erklärt. Untiefen, Klippen, Strömungen, die Bali-See habe es in sich, vor allem so nahe bei Borneo – dabei durchfuhr man längst die Java-See im direkten Kurs auf Singapur. So etwas aber merken nur ausgefuchste Seefahrer, die Seekarte und zurückgelegte Seemeilen bei 19 Knoten Fahrt im Kopf haben.
Hellersen hatte es sich gemütlich gemacht, saß auf seinem Ledersofa in der Ecke des großen Wohnzimmers, rauchte eine Zigarre und las in einem deutschen Magazin, das in Bali an Bord gekommen war. Im Kassettenrecorder drehte sich ein Band mit einer Mozart-Sinfonie; es war ein richtig genußvoller, stiller Abend.
Um so mehr fühlte sich Kapitän Hellersen belästigt, als es an seine Tür klopfte. Als er nicht sofort Antwort gab, klopfte es noch einmal heftiger. Das war ein Beweis, daß es nicht sein Steward war, sondern jemand aus dem Offizierscorps. Ein Passagier schied aus; kein Passagier wußte, wie man zur Wohnung des Kapitäns gelangte. Sie lag hinter der Kommandobrücke und hatte vom vorderen Treppenhaus aus eine anonyme Tür.
»Ja?« sagte Hellersen unwillig. »Wer ist denn da?«
Er stellte die Mozart-Sinfonie leiser, legte die Zigarre in den Aschenbecher und erhob sich. Der ruhige Abend, das ahnte er, konnte abgeheftet werden.
Mit ernsten Mienen – ich sag's ja, dachte Hellersen – betraten Losse und der Erste Offizier, Jens Hartmann, die Kapitänswohnung, nahmen ihre Mützen ab und blieben dann steif stehen. Verwundert blickte Hellersen von einem zum anderen.
»Der Erste
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