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Der Klabautermann

Der Klabautermann

Titel: Der Klabautermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bei dem Kapitän in dessen Wohnung versammeln. Bei Hellersen war das bisher nur ein einziges Mal geschehen: Als die Reederei für einen neuen Werbeprospekt Fotos brauchte. Aber streng Dienstliches in der Wohnung des Kapitäns? Das war etwas völlig Neues.
    Dicht gedrängt – denn so groß ist auch eine Kapitänskabine nicht – standen die Herren vor Hellersen und bemühten sich, ein gleichgültiges Gesicht zu machen. Ihre Mützen hatten sie unter die Achseln geklemmt, die Körper waren gestrafft; eine geradezu militärische Atmosphäre herrschte in dem Raum. Sie war von selbst entstanden, denn jeder, der bei seinem Eintritt einen Blick auf Hellersen warf, nahm sofort stramme Haltung an: Die Miene des Kapitäns verhieß eine harte halbe Stunde. Das Außergewöhnliche dieser Versammlung war jedem bewußt.
    Verstärkt wurde die innere Spannung durch einen Gegenstand, der auf Hellersens Schreibtisch lag: Ein BH aus rosa Spitze. Da keiner der Herren sich erinnern konnte, in der vergangenen Nacht mit solch einem delikaten Kleidungsstück in Berührung gekommen zu sein, stieg die Spannung von Minute zu Minute.
    Hellersen wartete, unruhig vor den Herren hin und her gehend und stumm trotz inneren Hochdrucks, bis alle Herbeizitierten anwesend waren. Zuletzt kam Dr. Schmitz, der seine Sprechstunde unterbrechen mußte. Er war der Einzige, der beim Eintritt etwas sagte:
    »Was ist denn hier los? Im Hospital sitzen neun Patienten. Ich hab' keine Zeit.«
    »Dafür doch, Herr Dr. Schmitz!« knurrte Hellersen. Er kniff die Augenbrauen zusammen und sah den Schiffsarzt unwillig an. »Ich habe Sie nicht rufen lassen, damit wir gemeinsam einen Choral singen!«
    »Das wäre auch verfehlt, denn ich bin total unmusikalisch.« Dr. Schmitz, auch da ein Kölner, blieb keine Antwort schuldig. Wer hat schon je einen Kölner gesehen, der nicht auf alles eine Antwort hat? Hellersen holte tief Luft.
    Jetzt, dachte der Leitende Erste, Jens Hartmann, der an der Spitze der Versammelten stand. Jetzt scheißt er den Doktor zusammen! Das hat es noch nie gegeben, und wie wir Schmitz kennen, gibt's da ein Rededuell, daß die Wände zittern.
    Aber Hellersen ließ sich darauf nicht ein. Vielmehr blieb er ruckartig stehen, umfaßte mit einem geradezu tödlichen Blick alle Herren, und dann kam es.
    »Fahre ich hier mit Schlafmützen über den Pazifik oder mit halbwegs ausgebildeten Offizieren?« sagte er mit einer ungewohnten Schärfe. Allein schon das ›halbwegs‹ war genaugenommen eine Beleidigung der Offiziere.
    Nicht darauf reagieren, dachten die Angeblafften in seltener Eintracht. Bloß nicht darauf eingehen … nur ihre Körper strafften sich noch mehr.
    »Ich verlange von Ihnen eine Erklärung, meine Herren!« fuhr Hellersen im gleichen scharfen Ton fort. »Wie kommt dieser BH ans Flaggenseil? Wieso hat niemand gesehen, daß er gehißt wurde … wie er gehißt wurde … Ein Büstenhalter hängt mitten in dem Seil! Mitten! Ist Ihnen klar, was das bedeutet? Da hat jemand vom Mast aus das Seil heruntergelassen und dann den BH drangehängt, und keiner – keiner! – hat das gesehen!« Hellersen holte wieder tief Luft und sagte dann etwas, was allen in die Knochen fuhr: »Ich kann keine blinden Offizieren gebrauchen …«
    Für einen Augenblick war es völlig still im Raum, so, als sei er völlig leer. Dann wagte Hartmann einen winzigen Vorstoß.
    »Herr Kapitän …«, setzte er vorsichtig an.
    Aber Hellersen winkte wütend ab.
    »Wenn Sie jetzt wieder mit Ihrem Klabautermann kommen, vergeß ich mich!« Seine Stimme schwoll noch mehr an. »So was haben Sie noch nicht erlebt, meine Herren! Wenn ich aus der Haut fahre …«
    »Eine Tablette Valium könnte helfen«, sagte Dr. Schmitz leise, aber deutlich in die Stille hinein. Entsetzt sah ihn Hartmann an. Was Dr. Schmitz da wagte, grenzte fast an Selbstzerfleischung.
    Erstaunlicherweise nahm Hellersen den Valium-Vorschlag nicht auf. Mit Dr. Schmitz zu streiten, hatte keinen Sinn; er war der beste Schiffsarzt, den Hellersen kannte, und für sein Schiff unentbehrlich. Natürlich wußte das auch Dr. Schmitz selbst.
    Hartmann versuchte, die knisternde Atmosphäre zu entspannen und berichtete im Ton einer militärischen Meldung:
    »Ich wollte nur melden, Herr Kapitän: Die Durchsuchung des Schiffes hat nichts ergeben.«
    »Das weiß ich bereits.« Hellersen verzog das Gesicht, als habe er Essig getrunken. »Mich tröstet, daß Sie die Taurolle aufs Gehirn bekommen haben …« Er wartete, ob Hartmann sich

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