Der Klabautermann
sich ein zweites großes Glas einschüttete, sagte er dabei:
»So eine Scheiße!«
Es gab auf dem Schiff einen Raum, den man ›Sonderbüro‹ nannte. Er war im Hauptfoyer steuerbords gebaut worden, die große Nische ausnützend, die durch die Toiletten des Restaurants gebildet wurde. Ein heller Raum mit Glaswänden und einer Glastür zur Halle hin. Zum Meer hinaus gab es drei große Fenster. Eine breite Theke im rechten Winkel grenzte das Büro vom Publikumsraum ab.
In diesem von der Zahlmeisterei eingerichteten Sonderbüro stand neben einem Karteikasten eine elektronische Kasse mit Druckwerk, über die alle Nebenausgaben der Passagiere liefen und gespeichert wurden. Es war nämlich üblich, daß man im Restaurant, in den Bars, auf Deck und sonst überall nicht in bar bezahlte, sondern nur die Rechnungen mit Name und Kabinennummer unterschrieb, um sie erst am Ende der Reise oder auch zwischendurch im ›Sonderbüro‹ zu begleichen. Das war für alle Stewards einfacher und sicherer. Weglaufen konnte ja niemand, und bei Landausflügen blieb bestimmt keiner nur deshalb zurück, weil er vielleicht DM 254,– auf dem Konto stehen hatte, oder DM 1.000,–, je nachdem, ob man zum Essen Mineralwasser oder Champagner trank.
Auch Übergepäck, bei den Abreisen, wurde hier bearbeitet, oder es wurden Nachsendeanträge gestellt, Luftfracht oder Seefracht abgefertigt. Der Hauptansturm der Passagiere erfolgte meistens in den letzten Tagen der Reise, dann war das Büro zwei oder drei Tage lang der bevorzugte Aufenthaltsraum des Oberstewards Victor oder des Obersteward-Stellvertreter.
Das Wichtigste war: Das ›Sonderbüro‹ war eine einzigartige Sammelstelle für Informationen. Es gab nichts auf dem Schiff, was man im Sonderbüro nicht wußte. Hier liefen alle Nachrichten zusammen, alle Beobachtungen, alle kleinen und geheimen Vertraulichkeiten unter Deck und in den Kabinen; hier wußte man einfach alles, lächelte diskret in sich hinein und schwieg. Wenn Herr Planner morgens aus der Kabine von Fräulein Heinreich schlich – im Sonderbüro wurde es still registriert. Wenn in der Bar nachts um 2 Uhr die Ehepaare Vierack und Bonnerhan einen Partnertausch vereinbarten und später auch ausführten – im Sonderbüro grinste man in sich hinein und dachte: Sieh an, wer hätte das gedacht. In diesem Alter noch! Aber die Seeluft, der Jodgehalt im Salz … da vergißt man das Geburtsdatum im Paß.
Dem ›Sonderbüro‹ blieb nichts verborgen.
Die linke Ecke dieses Raumes diente speziell als Fundbüro. Hier befand sich ein großer Tisch mit Glasplatte, auf dem alles aufgebaut war, was die Passagiere während der Schiffsreise irgendwo liegengelassen und vergessen hatten. Vor allem nach Bällen sammelten die Putzkolonnen eine Menge ein und lieferten es bei dem Obersteward oder dem Zweiten Zahlmeister ab.
Man glaubt gar nicht, was an Bord alles gefunden wird. Sonnenbrillen, Cremes, Socken, Handtuch, Taschenbücher (darunter immer wieder ›Konsaliks‹, von denen man nicht wußte, ob sie vergessen oder weggeworfen wurden), Schals, Stirnbänder, Schnürsenkel, Kämme oder abgerissene Knöpfe – wer spricht schon darüber? Anders ist es, wenn ein Damenhöschen abgegeben wird, gefunden in einer versteckten Ecke; dann wartet man im Sonderbüro gespannt auf den Abholer. Nur kam es sehr selten vor, daß solche Fundsachen wieder ausgelöst wurden, was man verstehen kann.
Auf dieser Fahrt war der Fundsachentisch mager bestückt. Neben einem alten Taschenmesser mit schartiger Klinge, das schon zehn Tage da lag und dessen Besitzer sich offensichtlich schämte, so ein Ding abzuholen, prunkte als Glanzstück ein Gebiß. Oberkiefer, Saugplatte mit neun Zähnen. Ein Steward hatte es auf dem Sportdeck gefunden, hinter einem Tischtennistisch.
»Jetzt bin ich aber gespannt, wer das abholt!« sagte Victor. »Der muß es doch gemerkt haben, als ihm das Ding aus dem Mund fiel.«
Aber keiner kam, das Gebiß abzuholen. Bleckend lag es auf der Glasplatte.
Am dritten Tag zeigte Victor das Gebiß Dr. Schmitz. Er betrachtete es genau und legte es dann auf den Tisch zurück.
»Begreifen Sie das, Doktor?« fragte Victor. »Er holt das Gebiß nicht ab. Man sollte im Restaurant mal nachfragen, wer seit drei Tagen nur noch Brei ißt.«
»Eine Dame … sozusagen. Das ist eine weibliche Prothese.« Dr. Schmitz zeigte auf die Fundsache. »Sehen Sie sich die kleine Gaumenplatte an und die kleineren Zähne.«
»Um so erstaunlicher, daß sich die Dame nicht
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