Der Klang Deiner Gedanken
herangezogen.
Er ließ schnell wieder locker.
Walts und Jacks Blicke trafen sich über Emilys Kopf hinweg und Jack zwinkerte ihm zu, obwohl drei Frauen aus Bedford ihn mit leuchtenden Augen umringten. Wenn er Jack doch nur um Rat fragen könnte. Aber dann müsste er ihm die ganze Geschichte von vorn erzählen.
Plötzlich brach Trauer über Walt herein. Frank hätte er die ganze Geschichte nicht erst erzählen müssen. Frank hatte sie ja schon gekannt und er hatte es gemocht, jedes kleine Detail auszuwerten. Walt schloss die Augen. Das alles war zu viel für ihn. Frank war nicht mehr da, mit Jack wollte er nicht reden, und er wusste inzwischen weder aus noch ein. Nur eins wusste er: Wie sehr er Allie liebte. Mit jedem Brief wuchsen seine Gefühle für sie.
Die Briefe. Walt biss die Zähne zusammen. Nein, Herr. Bitte nicht das auch noch. Bitte lass mir wenigstens die Briefe. Aber er machte sich nichts vor. Die Briefe fachten seine Gefühle und Fantasien nur weiter an.
Walt rang mit Gott, während die Kapelle „Moonlight Becomes You“ säuselte. Es musste sein. Ein letzter Schritt des Gehorsams, eine letzte verlorene Freundschaft, ein letztes Opfer.
Nur wie? Wenn er einfach aufhörte zu schreiben, würde sie sich Sorgen machen und denken, ihm wäre etwas zugestoßen. Er musste es ihr sagen. Aber musste das wirklich sein? Musste er sich jetzt auch noch eine volle Blöße geben?
Das ist zu viel verlangt, Gott. Lass mir wenigstens ein bisschen Würde.
Es musste doch irgendeinen anderen guten Grund geben, den er vorschieben könnte. Irgendeine Ausrede. Walt sah die junge Frau vor sich an. Er hielt die Ausrede im Arm. Dafür müsste er noch nicht einmal wirklich die Wahrheit verfälschen. Allie würde es erspart bleiben, ihn zu bemitleiden, und er könnte sein Gesicht wahren.
Eine allerletzte Notlüge.
Kapitel 36
Riverside, 3. April 1943
Der neue Hut für Ostern war perfekt. Cremefarben mit einem salbeigrünen Band und vielen kleinen Lilien. Er passte hervorragend zu Allies Crêpe-Kleid mit der aufgestickten Lilie. Und dazu würde sie noch Walts Kreuz aus Lilien anlegen.
Allie sah aus dem Fenster in den Victory-Garten, wo die Tomaten, der Mais und die Bohnenranken in der Abenddämmerung die Blätter falteten. Ob Walt noch rechtzeitig für die Frühlingsblumen nach Hause kommen würde? Oder erst für seine geliebten Sommerfrüchte? In jedem Fall bald. Die Strichliste unter Fort Flossie wuchs schneller als die Tomatensetzlinge.
Sie beugte sich über den Nähtisch und strich mit blauer Kreide die Ärmel ihrer weißen Bluse an. Die Ellenbogen waren langsam durchgescheuert und sie machte eine Sommerbluse daraus.
Ob Walt es schaffte, ihr trotz der Zensur das Datum mitzuteilen, wann er zurückkam? Betty konnte sie nicht fragen, weil sie ja nichts von ihrer Korrespondenz mit Walt wissen durfte. Aber irgendwie würde sie es schon herausfinden und genau an diesem Tag in Antioch auftauchen, obwohl Reisen der Zivilbevölkerung nicht gern gesehen waren.
Allie nahm ihre beste Schere und schnitt den Ärmel ab. Ihren Eltern würde sie sagen, Betty brauche Hilfe beim Einrichten des Kinderzimmers und Louise Morgan sei in San Francisco so einsam. Beides entsprach ja auch der Wahrheit. Von der Sache mit Walt brauchten sie nichts zu wissen.
Sie steckte mit Nadeln ein Schnittmuster auf dem abgetrennten Stoff fest, um den Ärmelaufschlag für die kurzen, gerafften Ärmel zu bekommen. Am Bahnhof würde sie auf ihn warten. Dort, wo Walt sie auf die Wange geküsst und ihr gesagt hatte, sie sei etwas ganz Besonderes. Seine ganze Familie und Freunde würden auch kommen und Allie würde sich in der Menge verstecken. Mit dem Hut würde sie erst niemand erkennen. Sie würde unter der Krempe hervorlugen, ihn beobachten und ihren Gefühlen freien Lauf lassen.
Allie schnitt um das Muster herum. Und wenn sie dann endlich vor ihm stünde, würde sie genau auf seine erste Reaktion achten. Natürlich würde er sich freuen, sie zu sehen, aber wie sehr? Ihre Freundschaft war zwar im gleichen Maß wie die Länge, Häufigkeit und Vertrautheit ihrer Briefe gewachsen, aber ob er auch ihre Liebe erwidern würde?
Sie setzte sich an die Nähmaschine und fädelte einen hellrosafarbenen Unterfaden ein, damit sie Heftstich und Kräuselstich besser voneinander unterscheiden konnte. Heute würde sie ausgiebig vor sich hin träumen.
Wenn sie dann am Bahnhof langsam den Kopf höbe, würde Walts Verwirrung unbändiger Freude weichen, und er würde sie so
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