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Der Klang Deiner Gedanken

Der Klang Deiner Gedanken

Titel: Der Klang Deiner Gedanken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Sundin
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seine Verletzung hat ihn endgültig verbittern lassen, aber er war vorher schon halb durch den Wind.“
    Die Schwester wischte Walt den Mund ab. Ein Krüppel. Seine rechte Hand – für immer weg.
    Er schloss die Augen und drückte den Hinterkopf ins Kissen. Das war nur ein Traum. Ein Albtraum. Wenn er aufwachte, würde er wieder ganz der Alte sein.
    „Walt, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich wünschte, das alles wäre nicht passiert. Ich wünschte, ich könnte mit dir tauschen. Und ich wäre heilfroh, wenn Dad oder Ray jetzt hier wären anstelle von mir. Ich bin doch fast durchs Predigerseminar gerauscht. Sie wüssten sofort ein paar gute, tröstende Worte.“
    „Ach ja?“ Walt sah in das sorgenvolle Gesicht seines Bruders. Die Schwester schob ihm eine Tablette zwischen die Lippen und gab ihm ein Glas. Das Wasser brannte in seiner Kehle. „Was sollten sie denn sagen? Ich ... habe nur noch einen Arm. Nur noch einen, Jack. Mein rechter Arm. Er ist weg. Mein rechter Arm. Ich kann nicht mehr ... schreiben. Und ... ich ... ich kann nicht mehr fliegen. Ich kann nicht mehr fliegen. Wie soll ich denn die Gashebel bedienen?“
    Er fing an zu schluchzen. Nein – nein, er würde jetzt nicht wie eine Heulsuse losflennen.
    „Du bist Ingenieur. Gott sei Dank, Walt! Mit einem Messschieber wirst du doch wohl noch umgehen können, oder? Das wird schon. Ganz ehrlich.“ Jack wischte sich die Augen. Er fing doch nicht etwa auch an?
    „Ach ja? Wer stellt denn einen Krüppel ein?“ So fest er konnte, presste Walt die Augen zu. Die Tränen waren ihm zuwider, die heisere Stimme, alles. Das war jetzt das zweite Mal innerhalb eines Jahres, dass er heulte. Der verdammte Krieg sollte einen Mann aus ihm machen und keine Memme.
    „Du bist kein Krüppel. Du bist ein Kriegsheld. Was meinst du, wie die Reporter uns hier die Bude einrennen und nur darauf warten, dass du wieder zu dir kommst. Und nicht nur die, sondern auch deine Crew. Du hast ihr Leben gerettet.“
    „Ich bin kein Held.“ Walt wollte sich mit dem Handrücken die Tränen abwischen. Aber da war keine Hand. Er musste den linken Arm nehmen.
    „Natürlich bist du einer. Ich gehe jede Wette ein, dass du schon zwanzig Stellen angeboten bekommst, bevor du überhaupt zu Hause bist. Und mindestens genauso viele Heiratsanträge.“
    Heirat. Walt starrte auf die dicke Bandagewulst. Jede vernünftige Frau würde Reißaus nehmen. Auch Allie. Zum Glück hatte sie bald einen Mann mit zwei Armen.

Kapitel 41
    Riverside, 6. Mai 1943
    Allie ging die Liste noch einmal durch: Florist, Fotograf, Bäcker, Drucker, Mission Inn, St. Timothy’s. Jetzt blieb nur noch die Schneiderei. Ihre Füße schmerzten.
    Beim Vorbeigehen betrachtete sie ihr Spiegelbild in einem Schaufenster. Wenigstens sah sie in ihrem pfirsichfarbenen Leinenkostüm noch halbwegs frisch aus. Um das alte Outfit etwas zu verjüngen, hatte sie vier Kellerfalten in den Rock gebügelt und Schulterpolster in die Jacke eingenäht.
    Vor der Schneiderei blieb sie stehen und atmete tief durch.
    Miss Montclair kniete hinten im Laden vor einer Schneiderpuppe. Sie trug ein Etuikleid mit breiten senkrechten Streifen in schwarzweiß. Es gab nicht viele Frauen, die so ein gewagtes Kleid tragen konnten, und noch viel weniger, denen es so stand wie Agatha Montclair.
    „Guten Tag“, sagte Allie.
    Miss Montclair sah verwundert auf und legte das Maßband beiseite. „Ich bin erstaunt, dich hier zu sehen, Allie.“
    „Oh. Ich dachte, Mutter hätte einen Termin für mich ausgemacht.“
    „Hat sie, aber du bist seit Monaten zu keinem Termin erschienen.“
    „Das tut mir leid, wirklich. Aber ... nun, jetzt bin ich jedenfalls da.“
    „Das sehe ich.“ Miss Montclairs Blick wurde mit jeder Sekunde durchdringender. „Deine Mutter wird sehr erfreut sein.“
    „Nein.“ Allie versuchte, ihr damenhaftes Gesicht aufzubehalten. „Sie wird ganz und gar nicht erfreut sein.“
    „Was du nicht sagst.“ Ein spitzbübisches Lächeln brachte Miss Montclairs hutzeliges Gesicht in Bewegung. „Na komm. Ich will dir zeigen, was ich gemacht habe.“
    Oh nein. Mutters Hochzeitskleid.
    Miss Montclair verschwand hinter einem weinroten Vorhang und kehrte mit einem Kleidersack zurück, den sie an die Tür einer Umkleidekabine hängte. Dabei sah sie Allie an und kicherte. „Du müsstest mal dein Gesicht sehen.“
    Allie legte ihre Handtasche ab und stellte sich neben Miss Montclair, die aus dem Kleidersack ein weißes Kleid mit Spitzenkragen, Blusenmieder

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