Der Klang Deiner Gedanken
Lachschwall, in den sich ihre Trauer und Schuldgefühle mischten.
Cressie stemmte nun beide Hände in die Hüften. Auf ihrem Gesicht kämpften ein Lächeln und empörtes Stirnrunzeln miteinander. „Genug jetzt, Missy. Nur weil ich dich zur Hausarbeit verpflichtet habe, heißt das noch lange nicht, dass du dich über meinen Namen lustig machen darfst.“
„Tut mir leid“, sagte Allie und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht. „Jetzt hältst du mich sicher für schrecklich unhöflich. Es ist nur ... mein Name – Allie – steht für Allegra.“
„Allegra?“ Das Lächeln gewann die Oberhand. „Jetzt haut’s mich aber um.“
„Mein Freund Walt ...“ Allie spürte einen heftigen Schmerz in der Brust und schnappte nach Luft. Sie musste einmal durchatmen, bevor sie weiterreden konnte. „Er ... hat mit mir herumgescherzt, sein Name wäre Adagio, und wir würden Kinder haben, die Andante, Pianissimo, Fortissimo und Crescenda heißen.“ Die Erinnerung war bittersüß.
„Dann bin ich ja deine lang verloren geglaubte Schwester.“
Allies Augen wurden feucht. „Eine Schwester könnte ich wirklich gut gebrauchen.“
„Na dann, Schwesterherz. Es gibt noch viel zu tun. Hoch mit dir, na los. Wir haben nur ... oh, du trägst eine Uhr? Du lieber Himmel, ist die aber schick. Wie spät ist es?“
„Zwanzig nach neun“, sagte Allie mit zittriger Stimme. Sie stand auf und hängte wieder ein Kissen auf. Wenn sie doch Walt nur von Cressie erzählen könnte. Er würde genauso lachen – dieses herrliche, volle Lachen. Seine Wangen würden nach oben rutschen, die braunen Augen funkeln und seine geschwungenen Lippen ihre ganze Mundpartie zum Kribbeln bringen.
Sie griff nach dem Stiel und schlug auf das Kissen ein. Baxter. Wieso konnte sie nicht genau so an ihn denken? Vielleicht, wenn er sie einfach mal küsste, nach ihrer Hand griff oder auch nur einen Hauch von Interesse zeigte ...
„Holla, Miss Allegra. Gleich kommt das Füllmaterial mit raus.“
Allie ließ erschöpft und beschämt den Besenstiel sinken. „Tut mir leid. Das nächste?“
Bald darauf zog eine lange Reihe von Sitzkissen die Wäscheleine nach unten. Einige Frauen trafen ein und gingen in den Seitenflügel. Cressie ordnete sich die Haare. „Na komm, Liebes. Der Frauenkreis fängt an.“
Allie strich sich den Rock glatt und setzte ihren Hut wieder richtig auf. Sie war eigentlich überhaupt nicht gesellschaftsfein. In ihrer Eile hatte sie noch nicht einmal eine passende Tasche zu den Schuhen genommen. Die Frauen im kleinen Saal schienen das aber nicht zu bemerken.
„Da hat Cressie sich dich wohl gleich unter den Nagel gerissen, was?“ Eine kleine alte Dame mit weißem Dutt umklammerte Allies Hand mit knorrigen Fingern.
Cressie drückte Allie in die freie Hand eine Tasse Tee. „Ich dachte zuerst, sie wäre deine Enkelin, Mabel.“
„Das ist ja mal ein Kompliment.“ Mabel sah Allie genauer an. „Wegen der Augen, meinst du?“
„Die Webers sind eben alle grünäugige Monster.“
„Sei still, Cressie. Du verscheuchst noch unseren liebreizenden jungen Besuch. Weißt du, Allie, die meisten unserer Mädchen arbeiten entweder als Krankenschwester oder in den Fabriken.“
Allie sah sich um. Bis auf eine Ausnahme war sie die einzige Frau unter fünfzig.
Mabel hob Allies Hand an. „So schöne lange Finger hast du. Spielst du vielleicht Klavier?“
„Um ehrlich zu sein, ja.“
„Oh, sie ist ein Gottesgeschenk, Cressie.“ Mabel tätschelte Allies Hand. „Ich bin hier die Organistin, aber mein Rheuma ist so schlimm, dass ich bei den lebhafteren Liedern einfach nicht mehr mitkomme.“
Organistin? Allie verspürte sofort Lust darauf, aber ihre Eltern würden das niemals gutheißen.
„Der Chor übt am Donnerstagabend. Außerdem spiele ich im Gottesdienst und vorher im Kindergottesdienst.“
Allie seufzte. „Ich bin doch nur zu Besuch.“
„Denk im Gebet drüber nach, Liebes.“
Die Frauen stellten einen Stuhlkreis. Opal Morris, die Frau des Pastors, betete. Dann holten alle Strickzeug aus ihren Taschen. Allie störte es, dass sie nichts in der Hand hatte.
Cressie gab ihr ein gelbes Wollknäuel und zwei Stricknadeln. „Wir stricken Decken für unsere Jungs im Lazarett in March Field.“
Allie war froh, einen kleinen Beitrag leisten zu können.
Anstatt die Geschäftsordnung zu verlesen, las Opal einen Abschnitt aus der Bibel und die Frauen diskutierten darüber. Allie wagte es nicht, sich einzumischen, aber sie beobachtete
Weitere Kostenlose Bücher