Der Klang Deiner Gedanken
Kunst, ihre Überlebenschance zu berechnen. Walt selbst machte das nicht viel aus. Er wusste, wo er die Ewigkeit verbringen würde. Natürlich würden seine Angehörigen und Freunde trauern, aber er hatte keine Frau und Kinder wie Frank, die ihn liebten und von ihm abhängig waren.
Zum ersten Mal war er froh, dass aus ihm und Allie nichts geworden war. Was, wenn sie frisch verliebt wären und er dann im Kampf fiele? Nein, so war es besser. Er könnte den Gedanken nicht ertragen, wie sie am Boden zerstört um ihn trauern würde.
Die Crew der Fort Flossie wurde in die Kantine entlassen. Nach dem Essen würden die Soldaten in den Red Cross Aeroclub gehen. Falls es Frank einigermaßen gut ging, würden er und Walt noch in die Offiziersmesse gehen und eine Runde Schach spielen, Zeitschriften lesen und vielleicht etwas Klavier spielen. Irgendwann würde einer der Männer sich auf die Schultern von zwei anderen setzen und mit dem Feuerzeug das Einsatzdatum in die Decke einbrennen: „23-11-42 St. Nazaire.“
Einsatz Nummer neun. Wenn Walt noch einen weiteren überlebte, bekam er den Eichenlaubkranz für die Fliegermedaille, die man ihm nach dem fünften Einsatz verliehen hatte.
Louis hielt Walt die Tür auf. „Kommst du mit oder wartest du auf Kilpatrick?“
„Ich warte.“ Er lehnte sich draußen an die Backsteinmauer.
„Ich reserviere schon mal Plätze für uns alle. Die anderen vier werden wohl ...“
„Abwarten.“
Walt schlug seine Bibel auf, die er sich nach jedem Einsatz gleich abholte, und ein kalter Windstoß blätterte darin herum. Die Psalmen kamen ihm so lebensnah vor wie nie. Jetzt wusste er, wie es war, wenn Feinde angriffen, einem nachstellten und Speere, Pfeile, Kugeln und Granaten warfen, um einen zur Strecke zu bringen.
Wie musste es erst sein, wenn man ständig in Gefahr war? Wie die Marineinfanteristen, die sich durch den Dschungel auf Guadalcanal kämpften? Oder die Soldaten, die in Panzern durch die Sahara rauschten? Oder die Matrosen wie Jim Carlisle, die nie wissen konnten, wann ein Torpedo von einem U-Boot oder ein Flugzeugangriff sie auf Nimmerwiedersehen in die Fluten schickte? Walts Krieg war so zivilisiert, so gesittet. Drei anständige Mahlzeiten pro Tag, Pritschen und Duschen, eine gemütliche Offiziersmesse – und dann Einsätze voller Adrenalin, Action und Gefahr.
Die Tür ging auf, die Crew der My Eileen kam heraus und Frank schickte seine Leute zum Essen.
„Hunger?“, fragte Walt
Frank sah ihn an. Sein Blick war immer noch leer. „Kann nichts essen. Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich will. Mich aufs Ohr hauen und tagelang nur schlafen? Einfach loslaufen und nie wiederkommen?“
Walt wusste nichts zu erwidern. Das war der Grund, warum er der einzige Novak war, der nicht auf der Kanzel stand.
„Ich muss laufen. Einfach laufen.“ Frank ging die Straße in Richtung Quartiere hinunter.
Walts Magen knurrte. Aber wie auch immer. Er hatte noch einen Hershey-Riegel unter seiner Pritsche liegen. Der musste für heute Abend reichen.
Frank lief mit den Händen in den Hosentaschen die Straße entlang und schwieg. Sie kamen an einigen Wellblechhütten vorbei, die wie halb vergrabene Blechbüchsen aussahen; an einer Baumgruppe, die einsam unter freiem Himmel stand; schließlich an den Gemeinschaftsquartieren mit der Kantine. Walts Magen knurrte wieder. Nach Einsätzen gab es immer das beste Essen. War das der Geruch von Steak? Und wenn schon.
Frank bog auf einen Weg ab, der südlich hinter den Quartieren entlang zum Dorf Thurleigh führte. Noch nie – nicht ein einziges Mal, seit Walt ihn kannte, hatte er so lange geschwiegen.
„Sein Kopf“, würgte er schließlich hervor. „Petrovich. Die rechte Seite – die ganze rechte Seite – war weg. Einfach weggeschossen. Die haben Petrovich auf dem Gewissen.“
Walt drehte sich der Magen um und der Hunger war vergessen. John Petrovich war ein netter Kerl gewesen, der ständig über das Essen flachste, hatte immer einen Scherz auf Lager gehabt und war der Erste gewesen, der einstimmte, wenn Walt am Klavier saß. Jetzt war er tot und Frank hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sein Co-Pilot gestorben war, das ganze Blut.
Lieber Gott, bitte nicht auch noch die anderen.
„Und Willard?“ Walt schluckte, um seinen trockenen Mund zu befeuchten. „Russo? Thompson?“
„Verwundet. Willard sieht übel aus. Sein Bein – er wird es wohl nicht behalten.“ Frank atmete flach. „Was mache ich hier? Was um alles in der Welt
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