Der Klang der Sehnsucht - Roman
Karten spielten und rauchten.
Malti lachte, während sie die letzten Tropfen aus ihren Wäschestücken wrang. Sie wand sie zu dicken Tauen und packte sie zu
sammen mit der Seife in ihren Korb. Sie hob ihn sich auf den Kopf, winkte ihren Freundinnen zu und machte sich flussaufwärts auf den Heimweg. Sie folgte dem Fluss, bis das Ufer allmählich einen steilen Hang hinaufführte. Es war ruhiger hier, und die Sonne trocknete ihren Nacken und ihre durchnässte Kleidung.
Spontan ließ sie sich an einer geeigneten Stelle nieder und blickte auf den Fluss, der funkelnd auf die Biegung zuströmte, hinter der ihre Freundinnen die Wäsche wuschen. Hier hatte Kalu damals seine Flöte gereinigt. Er fehlte ihr noch immer. Mehr, als sie es für möglich gehalten hätte. Mindestens so sehr wie früher Raja. Wie beliebt Kalu war, hatte sie erst bemerkt, als er fort war. Alle wussten, dass Ganga Ba mit ihm in Verbindung stand, und Malti wurde beim Einkaufen oft nach ihm gefragt.
»Wie geht es diesem Lausebengel Kalu?«, hatte die Verkäuferin im Süßwarenladen sich erst gestern bei ihr erkundigt. Über Malti wusste die Frau nur, dass sie bei Ganga Ba arbeitete, aber über Kalu wusste sie alles.
Kalu hatte Malti Selbstvertrauen geschenkt. Wenn sie mit ihm zusammen war, hatte sie seine ganze Aufmerksamkeit für sich, und er interessierte sich für das, was sie zu sagen hatte – nicht für das, was sie für ihn tun konnte. Sie fragte sich, wie er sich nun ihr gegenüber verhalten würde – jetzt, wo er nicht mehr Kalu, der Straßenjunge, war. Vieles würde anders sein, wenn er zurückkam. Falls er zurückkam.
Fast ein Jahr war er nun fort, und sie hoffte, er würde bald wiederkommen. Ihr erster Besuch bei ihren Eltern war der schwerste gewesen. Sie war damals so aufgeregt gewesen. Obwohl sie selbst sich verändert hatte, hatte sie erwartet, dass zu Hause alles gleich geblieben war. Doch die Gesichter ihrer Eltern waren faltiger geworden, und die meisten ihrer Freundinnen waren fort. Das ganze Dorf wirkte viel kleiner und ärmlicher, als sie es in Erinnerung hatte.
Auch Raja hatte sich verändert. Als sie von zu Hause fortgegan
gen war, war er noch ein Junge gewesen. Jetzt war er Student, ein junger Mann, und seine Stimme klang tiefer und ernster.
Malti erinnerte sich, wie ihr Bruder sie früher immer hoch in die Luft geworfen hatte. Damals glaubte sie, wenn sie Glück hätte und er sie im richtigen Moment losließe, würde sie fliegen können. Es wäre wundervoll, ein Vogel zu sein. Keiner von diesen bunten, krakeelenden Sittichen, lieber ein Milan. Sie waren kleiner als Adler oder Falken, braun, adrett und vor allem anmutig. Sie schienen eher zu segeln als zu fliegen und waren fast immer paarweise unterwegs. Malti hatte gehört, dass Milanpärchen ihr ganzes Leben lang zusammenblieben.
Wahrscheinlich würde sie niemals fliegen lernen, aber eines Tages, das wusste Malti, würde sie einen Gefährten bekommen. Für ihr ganzes Leben. Im vergangenen Jahr hatte ihr Körper sich verändert, ihre Brüste hatten sich entwickelt und ihre Oberschenkel sich gerundet. Bei ihrem letzten Besuch zu Hause hatte ihre Mutter ihr eingeschärft, darauf zu achten, ihren Körper stets sittsam bedeckt zu halten, und sie vor den Männern gewarnt. Im selben Atemzug hatte sie ein Gespräch über Maltis Verheiratung begonnen.
»Bleib nur immer schön in Ganga Bas Haus, und nimm dich in Acht. Niemand will ein Mädchen, das ins Gerede gekommen ist. Auch wenn ich nicht weiß, woher wir die Mitgift nehmen sollen. Aber wenn Raja erst einmal arbeitet …«
Malti wusste, dass sie noch Zeit hatte. Irgendwann würden ihre Eltern sie verheiraten. Aber bis dahin war es noch eine Weile hin. Schließlich hatte Raja noch vier Studienjahre vor sich.
*
»Guruji!«, rief Kalu, als er ins Haus rannte, und schwang sich, eine Hand am Türrahmen des Buchzimmers, mit einer Drehung auf seinem heilen Knöchel in den Raum. Dabei stolperte er und landete bäuchlings und flach wie ein Chapati auf dem Fußboden.
»Und das ist mein Schüler Kalu. Man fragt sich, warum ich mir keinen Jungen mit besseren Manieren als einzigen Schüler auserkoren habe«, bemerkte der Guruji zu einem Mann, der ihm gegenübersaß. Der Mann war so groß, dass er seine Beine kaum unter dem Stuhl unterbringen konnte. Ein Weißer.
Seine Lippen zuckten. »Ich heiße Martin.« Er streckte Kalu die Hand entgegen. Die Geste ging ins Leere, weil Kalu, die Hände an den Körper gepresst, seitwärts zum
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