Der Klang der Sehnsucht - Roman
hinunter zum Waschplatz am Fluss. In den Körben auf ihren Köpfen türmte sich die Wäsche ihrer Familien oder des Haushalts, in dem sie arbeiteten. Einige arbeiteten für den Dhobiwalla, der die schmutzigen Kleider der Bewohner von Hastinapore und Umgebung einsammelte. Die Körbe waren die gleichen, aber sie gingen oft gründlicher zu Werke, denn der Wäschereibesitzer kürzte ihnen den Lohn, wenn er nur den winzigsten Fleck entdeckte.
Am Fluss angekommen, rafften sie, um nicht völlig durchweicht zu werden, ihre Röcke, so weit es gerade noch den Anstandsregeln entsprach. Bis über die Knie in der Strömung stehend schrubbten sie die einzelnen Wäschestücke auf den flachen Felsen. Einige der Mädchen legten die Sachen zum Trocknen am
Ufer aus und schufen so eine Patchwork-Landschaft aus Saris in den Farben des Abendrots und Hemden in frommem Safran.
Während Malti eine Tischdecke auswrang und ins Wasser schaute, das sich nun von dem Stoff rot wie Granatapfelkerne färbte, lauschte sie dem Geplauder der anderen Mädchen. Bald würde sie ihr Bündel zu Ganga Bas Haus zurücktragen, um die Sachen dort zum Trocknen auszubreiten. Im Vergleich zu den anderen Mädchen war ihr Wäscheberg klein. Sie musste auch nicht auf besonders empfindliche Stücke achten, denn Ganga Ba gab ihre guten Saris in eine Reinigung in Baroda.
Malti war lediglich für Ganga Bas alltägliche Baumwollsaris, Tagesdecken, Tischdecken und verschiedene Kleidungsstücke der anderen Hausbewohner zuständig. Aber sie ließ sich Zeit, denn sie genoss die Gesellschaft und war begierig auf die letzten Neuigkeiten. Begleitet vom rhythmischen Schlagen der Wäschestücke sprachen die Mädchen über die neueste Mode aus der Stadt, über Filmstars – welche Schauspielerin am besten tanzte und in wen sie diese Woche verliebt war – oder über Klatschgeschichten aus dem Dorf, zum Beispiel, wessen Kuh die meiste Milch gab und wer sie stibitzte.
Heute stand Devyani, ein großes, dunkelhäutiges Mädchen, im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Sie war gerade einem Jungen aus einem Nachbardorf versprochen worden. Insgeheim hatte Devyani immer gefürchtet, wegen ihrer dunklen Haut nur schwer einen Bräutigam finden zu können, und nun war es doch geschehen. Sie sprühte vor Begeisterung. Beim Reden schwenkte sie ein blaues Baumwollhemd, das sie waschen sollte, durch die Luft statt durchs Wasser. Ihr Mann war groß, seine Familie reizend, und ihre Schwiegermutter hatte ihr bereits gesagt, sie brauche nun nicht mehr zu arbeiten.
»Stellt euch vor! Ich werde mich dem süßen Nichtstun hingeben. Genau wie Kanta Ben, diese Hexe, für die ich jetzt arbeite. Nie mehr Wäsche waschen!«
Die anderen lachten, keine neidete Devyani ihr Glück. Auch
Malti hatte Devyani gern. Bei ihrer Ankunft in Hastinapore war sie sich ziemlich verlassen vorgekommen, und Devyani hatte ihr das Gefühl gegeben, willkommen zu sein. Sie war lustig, ehrlich und immer freundlich. Sie zeigte Malti, wie man die Wäsche auf den Steinen schrubbte, ohne sie zu zerreißen, und half ihr, einen freien Platz zu finden, den sie für sich beanspruchen konnte. Damals war ihr alles so fremd und beängstigend erschienen.
Hastinapore war viel größer als ihr Dorf, und Malti hatte große Sehnsucht nach ihrer Familie gehabt. Außerdem waren Ganga Bas andere Dienstboten viel älter als sie. Nur durch Devyani hatte sie Mädchen in ihrem Alter kennengelernt.
»Und was ist mit dir, Malti? Wann kommst du an die Reihe? Ich hab gesehen, wie der Sohn vom Panwalla Stielaugen macht, wenn du vorbeigehst. Ganz sicher kommst du auch bald dran. Oder bist du schon vergeben?«
Einige Mädchen wurden schon als Kinder verheiratet, blieben aber bis zur Pubertät bei ihrer Familie. Solche Familien gingen auf Nummer sicher und brachten ihre Töchter unter die Haube, sobald sich die Gelegenheit bot, statt zu warten, bis sie älter waren.
»Nein, noch kein Mann für mich. Sie warten, bis mein Bruder Raja mit dem Studium fertig ist.« Voller Stolz auf die Leistungen ihres Bruders hob Malti den Kopf. »Er hat letztes Jahr ein Stipendium fürs College bekommen. Er wird später in einem Büro arbeiten. Vielleicht sogar für die Regierung.«
»Kannst du ihn nicht für mich reservieren?«, fragte Kavita, die neben Malti stand. »Es wäre toll, einen Angestellten zum Mann zu haben. Und keinen von diesen Tagedieben.« Lässig wies sie mit der Hand in Richtung von Kalus Banyanbaum, wo zu jeder Tageszeit mindestens drei Männer
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