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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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vorgelesen wird.«
    »Bitte«, sagte Bal und zögerte einen Moment. »Könnte jemand mir bitte nur sagen, was darin steht? Ich habe keine Erlaubnis …«
    Malti errötete. »Natürlich.«
    Bal erhob sich. Er wollte ihr die Hand entgegenstrecken, zog sie jedoch rasch zurück, bevor Malti reagieren konnte. »Danke. Danke vielmals, dass du stehen geblieben bist.« Der Junge wandte sich dem Leitbüffel zu, der am Wegrand graste, und klopfte ihm auf den Rücken. »Los, du Faulpelz, an den Fluss mit dir.«
    *
    Als Kalu den Wagen die Auffahrt hinaufkommen hörte, rannte er ans Tor. Wie sehr hatte er sich nach Vaid Dada gesehnt. Er war nur ein wenig erstaunt, dass niemand ihm von dessen bevorstehendem Besuch erzählt hatte. Doch es war nicht Vaid Dada. Ein Wagen mit einem ihm völlig unbekannten Paar fuhr
durch das Tor. Kalu duckte sich und wartete, bis er vorbei war, dann rannte er den Hang hinauf.
    Zwischen zwei Felsen kauernd, beobachtete er, wie der Fahrer ausstieg, das Tor schloss und dann den Schlag öffnete. Eine rundliche Frau in einem grünen Sari und ein Mann mit zerknitterten Hosen und einem weiß-roten Turban stiegen aus. Der Wagen blieb den ganzen Nachmittag vor dem Haus stehen, während Kalu in seinem Versteck wartete und beobachtete.
    Später erzählte Ashwin ihm von dem Besuch. »Die Leute kommen von überall her, um den Guruji zu besuchen – Alt-Wallas, Neu-Wallas. Weil sie mit seinem Genius in Berührung kommen wollen.«
    Kalu merkte, dass Ashwin erschöpft war. Er sah zu, wie er denselben Teller dreimal reinigte, bevor er ihn ihm ruhig aus der Hand nahm. Ashwin ging an den Herd, um ein Chapati zu wenden.
    »Kann man ihn wirklich berühren?«
    »Was?«
    »Seinen Genius.«
    »Also, du und ich, Babu, wir wissen, dass er nur ein griesgrämiger, alter Mann ist, aber diese Trottel halten ihn für einen Gott, nur weil er hier oben wohnt und nicht in der Stadt. Sie alle wollen die auserwählte Person sein, die ihn überredet, sein einsames Tal zu verlassen und in die Zivilisation zurückzukehren.« Ashwin legte ein weiteres Chapati in den Behälter. »Zivilisation, Schmivilisation. Wenn du mich fragst, ist es hier besser als irgendwo sonst auf der Welt.«
    »Fährt er denn manchmal irgendwohin?« Kalu warf einen verstohlenen Blick auf die Chapati. Er hatte in der Aufregung das Mittagessen verpasst.
    »Nie. Und lass die Finger von meinen Chapati, falls du nicht mein Velen auf deinem Hinterteil spüren willst. Und …«, Ashwin wedelte mit dem Nudelholz, »das nächste Mal will ich dich hier unten im Haus sehen. Kein Versteckspiel in den Bergen
mehr, Baba. Du gehörst zur Familie, und wenn der Guruji und ich uns mit diesen Bafudhyas abgeben müssen, dann du erst recht.«
    *
    Der Guruji rollte die Flöte zwischen den Fingerspitzen, genau wie der Panwalla immer seine Bidis rollte, und schien dabei die gleiche tiefe Befriedigung zu empfinden.
    »Die meisten Flöten sind aus Bambus und deshalb leichter. Deine Flöte ist aus Rosenholz und satter im Klang. Du brauchst sie auch nicht so oft zu ölen.« Der Guruji hielt das Instrument hoch. »Schau dir deine Flöte jetzt gut an. Trügerisch einfach, nicht wahr?«
    Kalu balancierte das lange hölzerne Rohr vorsichtig zwischen seinen Fingerspitzen. Es hatte ein Loch ganz oben, in das man hineinblies, dann zweimal drei Löcher, gefolgt von noch einem weiter unten an der Seite.
    »Es gibt viele Arten von Flöten. Manche haben oben ein Mundstück, wie eine Pfeife, während andere, wie diese Querflöte, nur eine Öffnung haben, in die man hineinbläst. Das macht es schwerer, aber man hat mehr Möglichkeiten, die Töne zu modulieren. Die europäische Querflöte ist aus Metall, sie hat Klappen und Tonarten. Man kann mehr Töne auf ihr spielen, aber«, der Guruji zeigte mit dem Finger zur Decke und ließ ihn dann mit einer weichen Geste fast wie eine Feder sinken, »man ist einen Schritt von der Öffnung und damit weiter von den Tönen entfernt. Je näher man dem Ton ist, desto größer die Chance, dass er aus der Seele kommt.«
    Der Guruji wandte sich um und legte eine Schallplatte auf. »Deine Flöte ist lang, so wie die, die Pannalal Ghosh benutzte. Das ist eine der wenigen Aufnahmen, die es von ihm gibt. Hör zu … er war ein außergewöhnlicher Flötist. Er besaß die Kraft, auch die längste Flöte zu halten und stundenlang zu spielen. Niemand reichte an ihn heran. Hörst du die Tiefe in seinem Spiel?
Fest und dennoch zart – wie die Seide einer Seidenraupe. Wusstest du,

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