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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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anderen Kindern zu.
    »Ich würde gern gegen die Jungen spielen«, sagte Jaya. »Aber ich will nicht aufhören, wenn wir verlieren.«
    Lata wandte sich um, als Tulsi ihre Schulter berührte. Kalu und die anderen beobachteten, was zwischen den beiden vor sich ging. Dann lachte Lata und fiel ihrer kleinen Freundin um den Hals. »In dem Fall können wir bei Tulsis Großeltern auf dem Hof spielen.«
    Kalu lächelte. »Das heißt, wir gewinnen, selbst wenn wir verlieren. Sollen wir die Herausforderung annehmen?« Die Kinder nickten.
    »Wir spielen gegen euch«, schrie er über das Feld hinweg. »Aber wir stellen Bedingungen. Wenn wir gewinnen, können wir mit euch spielen, wann wir wollen. Und ihr hört auf, uns zu beschimpfen. Wenn ihr gewinnt, überlassen wir euch das Spielfeld. Abgemacht?«
    Nishal überlegte eine Minute.
    Die Jungen hinter ihm scharrten mit den Füßen. Einer räusper
te sich, wie um etwas zu sagen, als ein finsterer Blick von Nishal ihn verstummen ließ. »Abgemacht!«, rief er.
    *
    »Heppy b'day to you, heppy b'day to you …« Ashwins Stimme schallte durchs Haus. Er probierte schon seit Monaten verschiedene Fassungen des Geburtstagsliedes aus. Heute war es besonders schlimm, da Vaid Dada zurückerwartet wurde. Kalu stöhnte und versuchte, sich auf seine Übungen zu konzentrieren. Sooft er ansetzte, kam Ashwins Gesang dazwischen, und er ertappte sich beim heimlichen Mitsingen. Er wollte so viel wie möglich üben, bis der Vaid am Nachmittag eintreffen würde.
    Immer wenn er zu Besuch kam, saßen die vier bis spät in die Nacht im Bücher- oder im Musikzimmer. Dada erzählte, wo er gewesen und wem er begegnet war. Ashwin reagierte auf jede Geschichte mit einer eigenen, eine wilder und lauter als die andere, je weiter der Abend voranschritt. Stieg der Geräuschpegel allzu sehr an, räusperte sich der Guruji, der sich meist nicht an Gesprächen beteiligte, sondern las.
    Der Guruji war einige Minuten älter als sein Bruder, und der Vaid sagte immer, deshalb sei er ein so griesgrämiger, alter Mann. Dann schlug der Guruji sein Buch zu und versetzte, der Umgang mit ihnen habe ihn seine Jugend gekostet.
    *
    Der Vaid beobachtete, wie Kalu eine zweite Portion Dhokra nahm. Der Junge tauchte die weichen gelben Quadrate in Ashwins grünes Chutney – eine seiner Spezialitäten – und aß mit sichtlichem Appetit. Kalu hatte sich in den vergangenen beiden Jahren so sehr verändert, dass er kaum wiederzuerkennen war. Die Kerben um seinen Mund waren verschwunden. Er saß gerade und bewegte sich mit Anmut. Er sprach selbstbewusst und fügte sich in ihre kleine Familie ein, als hätte er schon immer dazugehört.
    Am meisten jedoch hatte sich sein Blick verändert. Der alte Kalu war zwar gewieft, aber auch völlig offen gewesen. Seine Augen hatten stets die Wahrheit gesagt. Doch mittlerweile hatte der Junge durch Erfahrung gelernt, seine Gedanken zu verbergen. »Hast du dir schon ein Datum ausgesucht, Kalu?«
    Ashwin schenkte Tee nach. »Wie wäre es mit Janmashtami – Krishnas Geburtstag? Das wäre doch sehr glückverheißend.«
    »Nein«, erwiderte der Guruji an Stelle des Vaid. »Am besten du wählst einen Tag, der eine persönliche Bedeutung für dich hat, Kalu.«
    Kalu überlegte angestrengt. So viel war in seinem Leben geschehen, dass es ihm unmöglich schien, nur einen Tag auszuwählen. Alle richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Als wäre ihnen seine Entscheidung wichtig. Als bedeutete er ihnen etwas.
    Er verspürte einen Schmerz in der Brust, zart wie ein Schmetterling, ein Flüstern zwischen Traurigkeit und Freude. Er wünschte sich, ihn in Musik umsetzen zu können.
    »Der Tag, an dem Sie gesagt haben, dass ich bleiben darf.«
    Der Vaid lächelte, während Ashwin in die Hände klatschte. »Shabash! Der Tag, an dem all unsere Nöte begannen!«
    »Das, mein Sohn, ist das perfekte Datum«, sagte der Guru.
    Kalu blieb fast der Bissen im Halse stecken. Obwohl Vaid Dada ihn häufig mit »Beta« anredete und Ashwin von »unserer Familie« sprach, hatte der Guruji ihn noch nie seinen Sohn genannt. Kalu musste schlucken.
    *
    »He, du, Flöte!«
    Kalu ging weiter.
    »Aré, wart mal!«, rief Biddu. »Ich will mit dir reden.«
    Kalu drehte sich um, als der Junge ihn einholte. »Ich heiße Kalu. Nicht ›du‹ und auch nicht ›Flöte‹.«
    »Das kann ich ja nicht wissen, oder?« Biddu bohrte die Zehen in die Erde. »Du kennst doch meine Schwester – Lata. Sie spielt
in deiner Mannschaft. Von ihr weiß ich, dass

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