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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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hinterher auf sie.«
    »Sei vernünftig, Jonah. Ein Schwarzer, der auf der Straße vor dem Büh-neneingang der Met lungert. Wir haben nicht das Geld für die Kaution.«
    Ich überrede ihn, dass er bis zu ihrer Soiree wartet, der intimen kleinen Feier für ihre hundert besten Freunde, derentwegen wir nicht mit Pa und Ruth in Washington marschieren können. Als wir eintreffen, ist der ver-dische Albtraum schon in vollem Gange. Lisette gleitet in einer veilchenblauen schulterfreien Robe durch den Raum, die nur durch schiere Magie an Ort und Stelle bleibt. Sie sieht aus, als habe sie noch nie im Leben ein Mann berührt. Flirtend schwebt sie von Gast zu Gast, verbreitet sinnliche Freude, wo immer sie ist – fast warte ich, dass sie unvermittelt zu einer Arie ansetzt, die ihrem geschwächten Herzen den Todesstoß gibt.
    Ich weiß es beim ersten Blick. Wir hätten nie kommen sollen. Wir bewegen uns unauffällig zur Bar, bleiben beisammen. Ein Schwarzer im Abendanzug steht hinter der Theke. Er nimmt unsere Bestellung entgegen, und keiner von uns dreien sieht den anderen an. Jonahs Augen sind nur auf der Suche nach seiner geheimnisvollen Geliebten, warten auf eine Chance, sie allein zu sprechen. Er spürt eine Flaute, bahnt sich einen Weg durch den Cocktaildunst, steht plötzlich neben ihr. Sie streckt die Hände aus und drückt sie ihm auf die Brust, aber ich weiß nicht, was sie damit sagen will. Überall im Raum lautes Stimmengewirr: ein Dutzend manischer Gespräche, alle durcheinander. Aber mit dem Kontrapunkt groß geworden, kann ich, als ich näher komme, seine Tenorlinie aus dem Stimmenchor heraushören.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Mir geht's bestens. Warum fragst du?«
    »Meinst du nicht, du solltest besser keinen –«
    »Das ist Regina Resnik dort drüben. Ist sie nicht bezaubernd? Ich bin so froh, dass sie jetzt mezzo singt. Passt viel besser zu ihr. Komm mit, Kleiner. Ich mache euch bekannt.«
    »Lass das, Lisette. Ich bringe dich um. Ich schwör's.«
    »Oooh! Seit wann bist du denn so stürmisch?«
    Sie stehen an die Wand gelehnt, beide tun lässig. Beide flüstern, aber selbst das Flüstern einer ausgebildeten Stimme hört man weit. Er fasst sie am Handgelenk. An der Wand hinter Lisette hängt ein Foto von ihr als Dido, wie sie »When I Am Laid in Earth« singt, »Wenn einst im Grab ich liege«. »Jetzt sag schon«, drängt er, »was ist?«
    »Entspann dich. Kein Grund zur Sorge. Trink ein Gläschen. Du bist zum Vergnügen hier.«
    »Lisette. Ich lasse nicht zu, dass du das allein durchstehst. Ich kann doch für das Kind sorgen, wenn du Karriere machst. Dann kommt meine große Zeit, wenn du ...«
    »Wenn ich was? Sag schon, was du sagen wolltest, Kleiner. Wenn meine beste Zeit vorbei ist?«
    »Du hast mir selbst gesagt, ich kann es bis ganz nach oben schaffen. Ich bin eine gute Partie, Lisette. Ich kann für dich sorgen.«
    »Du wirst mich beschützen – das willst du sagen? Du wirst mich pflegen, wenn ich alt bin, und für meine armen kleinen Kinder sorgen?«
    »Ich weiß, du hältst mich selbst noch für ein Kind. Aber der Tag kommt, da sind wir beide gleich alt.«
    »Der Tag kommt, an dem bist du so alt wie ich jetzt. Und dann wirst du hören, wie jung du klingst.«
    »Heirate mich, Lisette. Ich kann dir ein guter Ehemann sein. Ich werde ein guter Vater für das Kind.«
    »Ehemann? Kind?« Sie erstickt fast an diesen Worten.
    Drei beschwipste hohe Stimmen nähern sich, reden alle gleichzeitig. »Ja was haben wir denn da? Privatstunde? Tete-á-tete? Ihr zwei seht aus, als ob ihr gerade etwas ganz Verruchtes vorhabt.«
    Lisette schwebt davon und macht das Trio zum Quartett. Ich gehe zu Jonah hin. »Lass uns von hier verschwinden.«
    Er ist sichtlich unschlüssig. Aber noch nicht bereit zu gehen. Er folgt ihr durch die Wohnung, ungeschickt, auffällig, verschreckt das Wild jedes Mal, bevor er auch nur in die Nähe kommt. Ich halte mich am Rand der Gesellschaft, lasse die allgemeine Hochstimmung über mich hinweg-branden. Jeder Versuch, ihn zu retten, ist zwecklos. Schließlich stellt er sie, durch Zufall, als sie sich unachtsam umdreht. Er fasst sie am Ober-arm. »Ich tue alles für dich, Lisette, du kannst es dir aussuchen. Aber ich lasse nicht zu, dass du es einfach allein mit dir abmachst.«
    »Und ich habe dir gesagt, dass alles in Ordnung ist, Jonah. Kein Grund zur Sorge. Hast du mich verstanden? Keiner!«
    Mittlerweile bin ich nicht mehr der Einzige, der die Ohren spitzt. Rundum verstummen

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