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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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Bett.
    »Das solltest du ihm verzeihen«, sagte ich. »Halb so schlimm. Dafür ist der Rest des Artikels ein einziger Liebesbrief. Er serviert dir deine Karriere auf einem Silbertablett!«
    Er versuchte sich mit der großzügigen Kränkung anzufreunden. »Voraussagen sind immer gefährlich.« Er ließ jedes Wort auf sich einwirken, machte aus dem Versprechen dieses Satzes eine Drohung. Mein Bruder hatte nie versucht, als Weißer durchzugehen, aber es verblüffte ihn nun doch, mit welcher Selbstverständlichkeit er zum Neger erklärt wurde. Ich machte mich auf Jonahs Verachtung gefasst, denn ich war sicher, dass ich das Ziel sein würde.
    Aber er war schon über die Verachtung hinaus, arbeitete an diesem Wort, dem einen dicken fetten Adjektiv, das da schwarz auf weiß stand, so unmissverständlich wie lyrisch oder Tenor. Er setzte diese Einschränkung wie eine Ohrfeige gegen das Beste. Der Beste, den dieses Land je her-vorgebracht hat. Er war unentschieden bei den Tempora, spürte zum ersten Mal am eigenen Leibe, was es bedeutete, Türen aufzustoßen, die sich immer wieder schlössen, ganz gleich wie viele legendäre Gestalten schon hindurchgegangen waren. Spürte, was es bedeutete, wenn man aus dem selbstgeschaffenen Ich vertrieben und zum Symbol erklärt wurde, das anderen Stolz geben sollte und doch zugleich deren Sache verriet. Spürte, was es bedeutete, in einem Klischee zu stecken, ganz egal wie er sang.
    »Unsere Eltern hätten mich Heinrich nennen sollen.«
    »Das hätte auch nichts geändert.«
    Schon früher hatten Leute ihn zum Nigger erklärt, brutaler als hier. Aber da war es kein berühmter Kritiker in der angesehensten Zeitung des Landes gewesen. Er lag auf dem Bett in seinem rot-grün karierten Bademantel, Zeitungsbögen über sich verstreut, und schüttelte den Kopf. Dann wandelte sich die Verblüffung in Wut. »Dieser aufgebla-      sene ... Was glaubt denn dieser Bastard ...«
    »Jonah! Es ist ein Triumph! Howard Silverman schreibt ein Loblied auf dich in der New York Times.«
    Er hielt inne, überrascht von meiner Vehemenz. Er starrte wieder an die Decke, sah all die Leute, die nicht einmal als Alibineger einen Platz erobern würden. Er sah unsere Mutter vor sich, wie sie vom Vorsingen am Konservatorium zurückkam. Die beste Liedersängerin, die er je kennen würde. Träge drehte er den Kopf von einer Seite auf die andere. Er sah mich an, der alte Bühnentrick mit seinen haselnuss-braunen Augen. Sie kommen nicht so nahe heran, dass sie die Augenfarbe sehen können, wenn sie die Tür einschlagen und das Haus anstecken. »Du bist auch einer von diesen grinsenden Satchmos, was? Einer von denen, die glauben, sie müssen nur nett genug sein, und alles wird gut.«
    »Du wolltest doch das verdammte Spiritual singen.«
    Es folgte eine angespannte Pause, in der wir beide nach dem richtigen Tempo suchten. Er hätte mich umbringen können mit seinem Schweigen. Und lange Zeit sah es ganz danach aus. Dann antwortet er in seinem schönsten Dowlandton: »Widersprich mir nicht, Erdling. Ich zähle zu den besten schwarzen Konzertsängern, die dieses Land je hervorbringen wird.«
    »›Hervorgebracht hat.‹ Ein großer Unterschied. Frag deinen Vater.« Beide suchten wir Zuflucht in einem nervösen Kichern. »Lies den Artikel zu Ende. Der aufgeblasene Bastard hat noch ein großes Finale für dich.«
    Jonah las die letzten Sätze mit seiner Sängerstimme laut vor. »›Wenn dieser aufregende junge Tenor an Grenzen stößt, dann allenfalls in seinem Volumen. Alles andere ist vollkommen, und aus jeder Note, die er singt, klingt der beflügelnde Klang der Freiheit.‹«
    Genau das vorsichtige Lob, das die Kritiker liebten. Wer konnte schon sagen, was es bedeutete? Es war mehr als genug, um eine Karriere darauf aufzubauen.
    »Ich bin der schwarze Axel Schiøtz. Ich werde der schwarze Fischer-Dieskau.«
    »Fischer-Dieskau ist ein Bariton.«
    »Schon in Ordnung. Da bin ich nicht so. Einige meiner besten Freunde sind Baritone.«
    »Aber würdest du wollen, dass deine Schwester einen heiratet?«
    Jonah sah mich an. »Und weißt du, wer du bist? Du bist der schwarze Franz Rupp.«
    »Und du wärst dann meine Marian?«
    »Genau das.« Er nahm sich den Artikel noch einmal vor. »He. Vom Begleiter ist kein einziges Mal die Rede.«
    »Das ist gut. Begleiter werden nur erwähnt, wenn irgendwas nicht stimmt.«
    »Muli! Ich schulde dir so viel. Ich hätte gestern Abend nicht dort oben gestanden, wenn du nicht ...« Er kam ins

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