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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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Nachdenken und sprach den Satz nicht zu Ende. »Wie kann ich das wieder gutmachen? Was willst du haben? Meine Turnschuhe – echte Red Ball Jets ? Meine 78er Platten? Alles deins. Was du willst.«
    »Wie wär's mit einem Frühstück? Mittagessen eher. Komm, du ziehst dich an und spendierst mir was.«
    Er kroch aus dem Bett, zog den Morgenrock aus und zeigte am offenen Fenster aller Welt seinen Weltergewichtskörper. Er streifte Shorts, Tuchhose und ein Polohemd über und fragte dabei: »Wieso war Ruth nicht da?«
    »Keine Ahnung, Jonah. Ruf sie doch an.«
    Er schüttelte den Kopf. Das fand er nicht richtig. Wollte es gar nicht wissen. Fürchtete sich vor der Antwort. Er setzte sich wieder auf das ungemachte Bett. »Dunkel gefärbte Reinheit, c'est moi. Die einzige Frage ist: Wer wird der weiße Jonah Strom?«
    »Zieh die Schuhe an. Auf geht's.«
    Aber er zog sie nicht an, und mein versprochenes Essen bekam ich nie. Während er noch weitertrödelte, klingelte das Telefon. Die Times tat ihre Wirkung, eine Bombe, die an einer Million Frühstückstischen hochging, und jeder Mensch, den wir je gekannt hatten, las diesen Artikel. Jonah heimste seine ersten begeisterten Glückwünsche ein. Die zweite Welle folgte auf der Stelle, als er auflegte. Der dritte Anruf kam, bevor er wieder bei mir auf der anderen Seite des Zimmers war. Es war Mr. Weisman. Er hatte ein Angebot für einen Plattenvertrag. Das Har-mondial-Label wollte eine Aufnahme mit uns machen, unser New Yorker Liederabend, genau wie wir ihn gesungen hatten.
    Jonah rief die Einzelheiten zu mir herüber, so wie Mr. Weisman sie ihm durchgab. Mein Bruder begrüßte das Angebot mit Triumphgeheul. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er den Vertrag auf der Stelle unterschrieben und die Aufnahme noch am selben Nachmittag gemacht. Mr. Weisman riet davon ab. Er empfahl uns zwei weitere Jahre Konzertreisen mit ein paar spektakulären Auftritten, und dann wären wir reif für einen langfristigen Vertrag mit einer der besseren Firmen. Er machte Andeutungen, dass RCA Victor durchaus im Rahmen des Möglichen sei. Das ließ Jonah einen Moment lang zögern.
    Aber mein Bruder ließ mit seiner Rakete die Erde in einem Tempo hinter sich, das der alte Mr. Weisman niemals ermessen konnte. Er war bereit zum Sprung in die Zukunft anderer, und eine Plattenaufnahme war die Chance dazu. Den Augenblick in Ewigkeit verwandeln, das vergängliche Jetzt verlängern bis ans Ende aller Zeit: Wenn ihm das jemand bot, dann war es Jonah gleichgültig, wer das war. Harmondial war jung und klein, zwei Punkte, die in Mr. Weismans Augen gegen die Firma sprachen, aber Pluspunkte waren für meinen Bruder. Er und sie würden gemeinsam groß werden. Mit vierundzwanzig fühlte Jonah sich noch unsterblich. Er konnte auf die Nase fallen und wieder hochkommen, so oft er wollte, denn schließlich hatte er unbegrenzt Zeit und Talent.
    »Nur einmal ist das erste Mal«, warnte Mr. Weisman. Aber Jonah verstand nicht, was er ihm sagen wollte. Harmondial bot mehr als Jonah je zu träumen gewagt hätte. Keiner von Mr. Weismans Einwänden konnte ihn von der Überzeugung abbringen, dass dieses Angebot gut für ihn war. Es war ein Geschenk, ein Lotteriegewinn, und der Einsatz kostete ihn keinen Cent.
    Zu den Aufnahmen flogen wir nach Los Angeles. Im kalifornischen Studio von Harmondial entstanden hauptsächlich Popplatten und leichte Klassik. Genau das Umfeld, sagte Jonah, das er brauche. Wir flogen Anfang August hinüber, zwei angehende Könige, und grinsten während des ganzen Flugs quer über den Kontinent wie Spitzbuben vor uns hin.
    In Trance fuhren wir durch L. A., kurvten in einem gemieteten Ford Mustang durch Westwood und Hollywood. Überall junge Leute, Transistorradios am Ohr, als hörten sie Berichte über eine Invasion der Außerirdischen. Und die Invasion war ja auch längst im Gange, nur wir waren so lange durch die östliche Provinz getingelt, dass wir nichts davon mitbekommen hatten. Jetzt rollten wir den Ventura Boulevard entlang, staunende Neuankömmlinge mitten in einer Epidemie. Überall war Musik, so viel, dass wir sie gar nicht alle wahrnehmen konnten.
    »Himmel, Joey! Das ist ja schlimmer als die Cholera. Schlimmer als Kommunismus. Der absolute Triumph des Drei-Akkorde-Songs!« Begierig teilzuhaben an all der Erregung, die er so lange bekämpft hatte, suchte Jonah die Skala des Autoradios ab und fand die Melodien, die uns an jeder Straßenecke entgegenschlugen. Manche dieser Songs gingen weit

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