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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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Mal. Thad war noch immer stolz auf diesen anonymen Angriff. Ein Ehrenzeichen. Er hatte seine Prügel dafür bezogen, dass er sich mit uns abgab. Thad hatte ja keine Ahnung. Er wollte nicht wahrhaben, dass das nichts weiter als die Blödheit war, die man Tag für Tag an jeder Straßenecke fand. Er wollte größeres, tieferes Leid, einen gemeinsamen Kampf, der vergessen ließ, dass er aus einem Kaff in Ohio stammte. Jetzt gehörte er dazu, lebte im Mount Morris Park, spielte sein cooles Spiel, schlug sich durch. Der einzige Unterschied war, dass er es tun konnte, solange es ihm Spaß machte, und dann einfach anderswohin gehen.
    Thad machte eine ausladende Bewegung, die all die alten Leute in ihren Abendanzügen umfasste. Er schüttelte den Kopf. »Mann, sieh dich an, Strom Zwo. Was in aller Welt machst du hier? Was hätte Nigel dazu gesagt?«
    Ich senkte den Blick, betrachtete meine blank geputzten italienischen Schuhe. Ich wollte, dass er stolz auf mich war. Er wollte, dass ich mich zu meiner Hautfarbe bekannte. Und er wollte, dass ich die Town Hall denen ließ, denen sie gehörte.
    »Tu mir einen Gefallen, Strom Zwo.« Er sah sich um, setzte ein schiefes Grinsen auf. »Halt diese Bande auf Trab, ja? Lass dich nicht von denen in den Sack stecken.«
    »Auf Trab.«
    »Ganz genau.« Ich streckte ihm die Hand entgegen. Thad versetzte ihr einen Schlag und war fort.
    Es war schon nach drei Uhr morgens, als wir nach Hause kamen, erschöpft, doch immer noch aufgekratzt. Jetzt konnten wir nur noch schlafen gehen und hoffen, dass die Zeitungen eine Kritik brachten. Sie musste nicht einmal positiv sein. Nur einfach zur Kenntnis nehmen, dass etwas geschehen war. Jonah hätte die Sterne vom Himmel herabsingen können, und doch würde der Weg in die Zukunft vor unseren Augen im Sande verlaufen, wenn der Kritiker am Abend Sodbrennen gehabt hatte. Meine Aufgabe am nächsten Morgen war, einen Ausflug in die Außen-welt zu machen und jede Zeitung zu kaufen, die zu finden war. Jonahs Aufgabe war es, im Bett zu bleiben und sich etwas einfallen zu lassen, womit wir von nun an unseren Lebensunterhalt verdienen konnten. Nachtwächter, das war die Idee, auf die er immer wieder zurückkam.
    Mit diesen Planungen war er noch immer beschäftigt, als ich ihm die zerkrumpelte Times auf den Bauch warf. »Wache auf, du Bastard. Kulturteil, Seite vier. Howard Silverman.«
    »Silverman?« Er klang erschrocken. Nein, würde er später sagen. Nur verblüfft. Hastig schlug er die Seiten um und fand die kurze Besprechung. »›Eine beinahe perfekte Stimme – und bei Mr. Strom ist das ›Beinahe‹ kein Anlass zum Bedauerns« Er blickte mich an, über den Zeitungsrand hinweg. »Was soll das heißen?«
    »Ich glaube, es ist als Lob gemeint.«
    Ich fand, es klang, als wolle er sich als Verfasser des Begleittexts für Jonahs erste Plattenaufnahme empfehlen. ›»Die Stimme dieses jungen Mannes ist technisch ausgefeilt, aber er hat mehr und Besseres zu bieten als bloße Perfektion.« Jonah grinste diebisch. »Meine Güte.«
    »Lies weiter. Es wird noch besser.«
    Als Nächstes kam Silverman auf unser phantasievolles Programm, nannte die zweite Hälfte eine »frische Brise aus der Neuen Welt, eine schlüssige Alternative zu den gar zu vorhersehbaren Tendenzen im heutigen Liedgesang«. Natürlich durften ein paar kritische Bemerkungen nicht fehlen – etwas über seine bisweilen eigenwillige Phrasierung, darüber, dass die Stimme in den raschen Passagen ein wenig von ihrem Samtglanz verliere. Den größten Einwand hob Silverman sich für den Schluss auf. Der jugendliche Zauber, schrieb er, müsse sich noch in der realen Welt bewähren, er müsse sich echter Erfahrung aussetzen, bevor er zur vollen Komplexität der Emotionen heranreife. »›Mr. Strom ist jung, und seinem jugendlichen Liebreiz fehlt ein wenig die Reife. Liebhaber schöner Stimmen dürfen gespannt sein, ob die Frische dieses außerordentlichen Wohlklangs auch in reiferen Jahren erhalten bleibt.««
    Dann kam Jonah an die Zusammenfassung. »›Alles in allem stellen Mr. Stroms dramatisches Talent, seine klare Artikulation, die – wenn auch dunkel gefärbte – Reinheit seiner Brillanz ihn schon jetzt in eine Reihe mit den besten europäischen Liedinterpreten seiner Generation. Voraussagen sind immer gefährlich, aber es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass er zu den besten schwarzen Konzertsängern zählen wird, die dieses Land je hervorgebracht hat.‹«
    Jonah warf die Zeitung aufs

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