Der Klang der Zeit
Haus am Ende der langen Nacht, einladend, warm, immer wieder neu und subversiv. Und ich stand auf der Schwelle, ausgeschlossen, kam zu spät, um mich noch in die Party einzuschmuggeln, lauschte den Tönen, die durch die Fenster drangen und die Straße in alle Richtungen erhellten. Ich hörte Stimmen durch die geschlossenen Fensterläden. Ohne Hemmungen hörte ich zu, achtete nicht darauf, ob jemand kam und mich abführte; ich war gefangen in Klängen, die selbst gedämpft aus dieser Entfernung lebendiger und drängender waren, beglückender als alles, was ich je schaffen würde.
Mitten in dieser freudigen Erregung ließ mich ein Song von Cab Calloway, eine Aufnahme von 1930, abrupt innehalten. Zweimal las ich den Titel, der nur aus einem einzigen Wort bestand, holte hastig die Platte aus ihrer Hülle, und es gelang mir sogar, die Nadel ohne einen Kratzer an der richtigen Stelle aufzusetzen. Calloway trällerte wie eine schlechte Al-Jolson-Parodie, der Song hieß »Yaller«:
Black folk, white folk, I'm learning a lot,
You know what I am, I know what I'm not,
Ain't even black, I ain't even white,
I ain't like the day and I ain't like the night.
Feeling mean, so in-between, I'm just a High Yaller ...
Schwarze, Weiße, hört mir zu. Ihr wisst was ich bin, ich weiß was ich nicht bin, ich bin nicht schwarz, ich bin nicht weiß, nicht wie der Tag und nicht wie die Nacht, ein armes Leben, ein kleiner Gauner, denn ich bin nichts weiter als ein Hellbrauner. Dreimal hörte ich es mir an, dann kannte ich den Song, als hätte ich ihn selbst geschrieben. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war, aber ich spielte ihn an jenem Abend im Glimmer Room, nach Teresas Ankunft. Hoffnung ist niemals einfältiger, als wenn sie in Greifweite ist. Sie ging an ihren Platz, direkt am Klavier, und strahlte von unserem neuen Geheimnis. Sie sah atemberaubend aus in einem kurzen braunen Etuikleid, das mir schon in ihrem Schrank aufgefallen war. Ich brachte den Song im letzten Set unter, als außer ihr niemand mehr zuhörte. Ich beobachtete ihr Gesicht und wusste schon im Voraus, wie sie reagieren würde. Die Lippen, die sich zu jeder anderen Melodie des Abends bewegt hatten, erstarrten, der Mund, der Lieder ohne Worte gesummt hatte, als wir uns liebten, schwieg bei dieser Darbietung, fest zusammengebissen.
Sie ging, bevor ich zu Ende gespielt hatte. Aber am nächsten Abend war sie wieder da, so zaghaft und verlegen, dass ich mich vor Schmerzen wand. Ich fuhr mit ihr zurück zu ihrer Wohnung, auch wenn nur ein paar Stunden blieben, bis sie zur Arbeit musste. Wir lagen wieder beieinander, aber das Lied lag wie ein Totgeborenes zwischen uns. Als ich am nächsten Morgen, nachdem sie gegangen war, noch einmal ihre Plattensammlung ansah, war der Calloway nicht mehr da.
Wir entwickelten eine Routine. Sie kam nun jeden Abend in die Bar, und jedes Mal holte ich sie für mindestens einen Song auf die Bühne. Anfangs machte es Mr. Silber rasend. »Glaubt ihr etwa, ich habe Geld für zwei Künstler an einem Abend?« Aber ich versicherte ihm, dass es kostenlos sei, auch wenn sämtliche Kollegen meines Vaters Stein und Bein schworen, dass es so etwas in unserem Winkel des Universums nicht gab. Als Mr. Silber erst einmal sah, wie sehr die Liebeslieder, die dieses seltsame Mädchen sang, seinen Gästen gefielen, war er Feuer und Flamme. »Meine Damen und Herren«, kündigte er uns nun an, »darf ich um Applaus bitten für das Glimmer–Room–Duo!«
Wir probten nie. Sie kannte all ihre Lieder auswendig, und ich lernte sie von ihr. Ich konnte voraussehen, was sie tun würde, und in den wenigen Fällen, in denen ihre eigene Begeisterung uns zum Kentern brachte, hatten wir unseren Kahn im Handumdrehen wieder flott. Schließlich war es kein Scriabin. Und doch vermittelte Teresa eine musikalische Ekstase, die Scriabin bestenfalls andeuten konnte. Ihr ganzer Körper nahm den Rhythmus auf. Getragen von meinen Akkorden, ließ sie sich gehen, eine sinnliche, glutvolle Entdeckungsreise. In ihrem tiefen Register gab es ein Knurren, das beinahe androgyn war. Das Publikum lag ihr zu Füßen, und an jedem Abend saßen etliche in dem dunklen Raum, die Jahre ihres Lebens für mehr von ihr gegeben hätten.
Einmal stand sie oben auf der Bühne, sang Smokey Robinsons »You Really Got a Hold on Me«, als wäre es hochexplosiver Sprengstoff. Wir segelten im perfekten Einklang dahin, doch ganz unvermittelt streifte unser Schiff ein Riff und ich blickte auf. Teresa
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