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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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einmal am Nachmittag, bevor ich abends im Club spielte. Mein schlechtes Gewissen war so groß, meine Achtung vor mir selbst so sehr am Boden, dass ich, als sie mit dem Tablett mit unserem Sonntagsessen hereinkam, nichts anderes hervorbrachte als: »Du magst aber schwarze Musik.«
    Sie stellte die dampfenden Teller auf den improvisierten Tisch. »Wie meinst du das?«
    »Schwarze Musik. Du magst sie lieber als ...« Deine eigene, hätte ich beinahe gesagt. Wie bist du dazu gekommen?
    Teresa warf mir einen Blick zu, den ich auf ihrem Gesicht noch nie gesehen hatte, den ich aber von Kassierern, Kartenkontrolleuren, Fremden kannte, seit ich dreizehn war; ein Blick, der wusste, dass ich, wenn die Revolution kam, mir alles zurückholen würde, was die weiße Welt mir über Jahrhunderte gestohlen hatte. Sie kam zu mir herüber und musterte ihre Platten mit kritischem Blick. Sie stand da, schüttelte den Kopf, als sie ans rechte Ende kam, ihre ganz privaten Tops of the Pops. »Aber das sind doch die Sänger, die jeder mag. Das liegt nicht dran, dass sie schwarz sind. Es sind einfach die besten.«
    Beim Essen war ich so aufgewühlt, dass ich kaum schlucken konnte. Wir saßen uns an dem Klapptisch gegenüber und schoben beide unseren Braten auf dem Teller hin und her. Ich konnte nicht fragen, was ich sie gern gefragt hätte. Aber ich hielt auch das Schweigen nicht aus. »Wie bist du auf diese ganzen Oldies gekommen? Ich meine, Cab Calloway? Alberta Hunter? Weißt du denn nicht, dass man keinem über dreißig trauen darf?«
    Ihre Miene hellte sich auf. Die Frage war leichter als die Vorige. »Oh! Das ist mein Vater!« Sie sagte es mit dem fürsorglich tadelnden Tonfall, den wir für diejenigen haben, die die Dummheit begangen haben, unsere Eltern zu werden. »Jeden Sonntagmorgen. Die Woche war nicht zu Ende, bevor er nicht seine Lieblingsplatten gespielt hatte. Ich fand es schrecklich. Mit zwölf lief ich schreiend aus dem Haus. Aber am Ende mag wohl jeder das, was er am besten kennt, nicht wahr?«
    »Was ist aus ihm geworden?«
    »Wem?«
    »Du sagst ›gespielt hatte‹.«
    »Oh. Mein Vater?« Sie blickte auf das Schlachtfeld auf ihrem Teller. »Der spielt sie immer noch.«
    Genau wie ich. Teresa spürte, wie erregt ich war. Das muss ich ihr lassen. Sie hörte mich, auch wenn ich nicht spielte. »Sollen wir einen Ausflug machen?«, fragte sie.
    »Sicher. Warum nicht. Es sei denn, du möchtest lieber hier etwas hören.«
    Wir waren aus dem Takt. »Und was ?«
    »Alles. Was du willst.«
    Sie ging zu der langen Plattenreihe und stand unentschlossen davor. Ich hatte ihre Rangordnung durcheinander gebracht, und das für immer. Sie ging nach rechts und holte Ella Fitzgerald hervor, eine Platte mit Gershwin, Carmichael und Berlin, alles Diebesgut, das sie von den Weißen zurückholte. Teresa setzte die kratzende Nadel auf, und die Stimme erklang, ein Scatgesang wie am Jüngsten Tag. Sie wiegte sich ein wenig im Takt, sang lippensynchron mit, wie immer. Sie schloss die Augen und legte die Hände auf die Hüften, tanzte mit sich selbst. Dann und wann waren ein paar Worte zu hören, ein unfreiwilliges pianissimo, eifrig bemüht, die verlorene Unschuld wieder einzufangen.
    Summend schwebte sie zu ihrem zerschlissenen ziegelroten Sofa. Nach dem ersten Song ging ich und setzte mich neben sie. Sie war überrascht. Sie hielt still. Nie war die Sprache darauf gekommen, dass wir uns nicht berührten. Ich glaube, sie wäre für immer bei mir geblieben, wäre auf dem Abstand geblieben, auf dieser unausgesprochenen Distanz, von der sie glaubte, ich brauchte sie, und keinen Schritt näher gekommen. Sie stieß einen langen Seufzer aus. »Aaaah, Sonntag.«
    »Sunday«, sang ich, »maybe Monday.«
    »Maybe not«, übernahm Teresa. Sie drehte sich zu mir hin, zog die Beine auf das Sofa. Sie betrachtete ihre Schenkel, leicht angewinkelt, die Farbe von feinem Porzellan. Ihre Lippen bewegten sich lautlos, wie sie es schon so lange im Dunkel des Clubs getan und mir Abend für Abend Gesellschaft geleistet hatten. Es war, als käme der Gesang, die Wärme der Plattenaufnahme über ihre lautlosen Lippen. Still, I'm sure to meet him one day, maybe Tuesday will be my good news day. Meine rechte Hand senkte sich auf ihr Bein und spielte die Begleitung dazu. Ich schloss die Augen und improvisierte, tastete mich vor von Akkorden zum freien Spiel, sorgsam darauf bedacht, dass ich den Anstand wahrte, die Oktave zwischen Knie und hochgerutschtem Rocksaum.
    Teresa

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