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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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Nachtclubkünstler.«
    Sie musste sich umgesehen haben. Hatte die Plakate am Club entdeckt. »Es ist ein aufgeklärter Laden. In den Pausen darf ich Zeitung lesen.«
    »Huey ist frei, das ist wahr.« Robert sah mich an, versuchte abzuschät-zen, wo ich stand. »Aber alles, was der Mann tun wollte – die ganze Bewegung –, fällt auseinander.«
    »Robert«, warnte Ruth.
    »Schon gut. Das weiß doch jeder.«
    Ich war auf dem Laufenden geblieben, wenn auch nur um ihretwillen. Die Schießerei an der UCLA. Hampton und Clark, die beiden Panther-Anführer in Chicago, in einer illegalen Polizeiaktion im Schlaf erschos-sen. Bobby Seale in Connecticut vor Gericht, angeklagt wegen Mordes an einem Polizeispitzel. Das FBI führte Krieg an allen Fronten. Hunderte von Black Panthers waren umgebracht oder ins Gefängnis gesteckt worden, oder sie flohen ins Ausland. Eldridge Cleaver nach Kuba. Lange Zeit hatte ich mir ausgemalt, dass Ruth und Robert genau wie Jonah außer Landes waren. Und wenn ich sah, wie elend sie jetzt hier saßen, hätte ich es ihnen gewünscht.
    »Hast du von der Sache in New York gehört?« Die Intensität, mit der Robert mich ansah, versetzte mich in Panik.
    »Ich habe ... in der Zeitung stand ...« Ich hatte die offiziellen Berichte einfach nicht glauben können. Einundzwanzig Panthers verhaftet, ange-schuldigt der Verschwörung, öffentliche Gebäude in die Luft zu jagen und Dutzende von Polizisten zu töten. Die Gruppe, an deren Aufbau meine Schwester und ihr Mann mitgeholfen hatten.
    »Die Zeitungen, Mann. Du musst dich entscheiden, ob du den Zeitungen glauben willst oder dem Volk.« Er reckte den Kopf, ein trotziger tausendjähriger Junge, der aufbegehrte, der es einfach nicht mehr aushielt, wie dieses Land alles, was menschlich war, in den Dreck zog. Ich glaubte weder den Zeitungen noch dem Volk. Ich glaubte nicht einmal mir selbst. Ich wollte auf der Seite stehen, auf der meine Schwester stand.
    »Ich bin halb verhungert«, sagte Ruth.
    Das schien ein Geschenk des Himmels, endlich etwas, wobei ich mich nützlich machen konnte. »Es gibt ein italienisches Lokal gleich hier in der Straße.«
    Robert und Ruth sahen mich an und konnten nicht glauben, wie schwer von Begriff ich war. Robert holte vier zerknitterte Dollarnoten aus der Tasche. »Könntest du uns was mitbringen? Egal was, Hauptsache es ist warm.«
    Ich lehnte das Geld ab. »Bin gleich wieder da, mit den besten Muscheln, die ihr je gegessen habt.«
    Seine Dankbarkeit brachte mich fast um. »Da hast du was gut bei mir, Bruder.«
    Über dieses letzte Wort dachte ich auf dem ganzen Weg zur Seepromenade und zurück nach. Als ich wieder an die Tür kam, hörte ich, wie sie sich stritten. Sie verstummten im Augenblick, in dem ich meinen Schlüssel ins Schloss steckte. »Aus dem Ozean frisch auf den Tisch«, sagte ich, und selbst ich hörte, wie einfältig es klang. Aber Ruth war begeistert. Zuerst küsste sie meine Hand, dann biss sie sie. Die beiden stürzten sich auf das Essen. Es musste lange her sein, seit sie zuletzt etwas bekommen hatten. Ich wartete, bis der größte Hunger gestillt war. Dann versuchte ich aus Robert etwas herauszubekommen. Nachhilfestunden für den verhinderten Juilliard-Absolventen.
    Robert tat mir den Gefallen. Wir sprachen über all die Dinge, die geschehen waren, seit wir uns zuletzt gesehen hatten, den Kampf der letzten drei Jahre. Ich führte den gewaltfreien Widerstand ins Feld, auch wenn der ja längst begraben war. Robert lachte mich nicht aus, aber er machte mir auch keine Hoffnung. »Ein kleines Grüppchen hat uns alle zusammen ins Loch gesteckt, und sie stehen mit Flinten an den Luken. Je länger sie das tun, desto nötiger haben sie es.«
    Meine Schwester hob beschwörend die Hände. »Es sind ja nicht nur die Mächtigen im Lande. Die Armen unter den Einwanderern, die zweite Generation, die machen munter mit. Das erste Wort, das sie lernen, wenn sie den Fuß in dieses Land setzen, ist Nigger. Sie hetzen die Besitz-losen gegeneinander auf. Das reine Kapo-System.«
    Ich hörte wortlos zu, speicherte alles. Als die Muscheln alle waren, wussten wir nichts mehr zu sagen.
    »Joey«, sagte Ruth. »Du hast eine Freundin.«
    »Woher willst du das wissen?« Ich sah mich in der Wohnung nach ver-räterischen Indizien um, Bildern, Zetteln, zweiter Zahnbürste. Nichts.
    »Du siehst gut aus. Gesund.« Ruth schien erleichtert. In dem Augenblick, in dem meine Schwester das sagte, liebte ich Teresa wieder wie an dem Tag, an dem

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