Der Klang der Zeit
sie zuerst für mich gesungen hatte. »Eine Weiße?«
Robert stand auf und streckte sich. »Genug jetzt. Feuerpause. Lass den Mann mal verschnaufen.«
»Wieso ? Das ist doch eine ganz normale Frage. Wenn er ein schönes neues Auto hätte, würde ich auch wissen wollen, was für ein Modell es ist.«
Robert sah mir ins Gesicht. »Schon in Ordnung, Bruder. Schau dir mich an. Ich gehe mit einer Deutschen ins Bett.«
»Wenn ich dich mit ihr erwische, drehe ich euch beiden den Hals um.«
»Ihr Vater hat sie verstoßen«, sagte ich. »Teresa, meine ich.« Es hörte sich lächerlich klein an im Vergleich zu dem, womit Robert und Ruth zu kämpfen hatten.
Robert fuhr sich über seine Afrohaare. »Schlimme Sache. Vielleicht machen wir sie zum Ehrenmitglied.«
»Teresa.« Ruth gab sich Mühe, es so wenig spöttisch wie möglich zu sagen. »Wann lernen wir sie kennen?« Meine Schwester wollte mir entgegenkommen. Einen Platz außerhalb dieser Welt finden, groß genug, dass wir beide dort wohnen konnten.
»Jederzeit. Heute Abend.«
»Vielleicht das nächste Mal«, sagte Robert. »Das hier ist ja nicht gerade ein Kaffeeklatsch.«
Seine Worte schleuderten die beiden heraus aus meiner einfältigen Welt; jetzt waren sie wieder zwei Agitatoren auf der Flucht. Wir saßen schweigend da, horchten auf verräterische Laute draußen auf der Straße. Schließlich sagte Ruth: »Es geht nicht darum, dass wir dir nicht trauen, Joey.«
»Das verstehe ich«, log ich. Aber das Einzige, was ich verstand, war ihre Unruhe, die Panik von gehetzten Tieren.
Robert sprach in seine gefalteten Hände. »Je weniger wir sagen, desto besser für dich.« Er hätte Professor an einer Universität sein können.
Ruth lehnte sich zurück und seufzte. Meine kleine Schwester, jetzt Jahr-zehnte älter als ich, und sie entfernte sich immer weiter von mir, in wachsendem Tempo. »Wie geht es dem Negercaruso?« Sie sagte es mit zusammengebissenen Zähnen.
»Was soll ich sagen? Er singt. Irgendwo in Europa. Die letzte Nachricht kam aus Deutschland.«
Sie nickte. Hätte gern mehr gewusst und wollte doch nicht fragen. »Da passt er hin.«
Ihr Mann stand auf und spähte durch die Küchenvorhänge. »Mittlerweile wäre ich selbst gern da.«
»Was du nicht sagst.«
»Lieber heute als morgen.«
Der Gedanke amüsierte Ruth. Sie lästerte auf Deutsch, mit jedem Kose-namen, den Pa je für Mama gehabt hatte.
»Ich muss zur Arbeit«, sagte ich. »Brötchen verdienen.« Ich streckte meine Finger aus, spielte damit, sang ohne nachzudenken »Honeysuckle Rose«.
»Ich würde ja zu gern zuhören«, sagte Ruth.
»Kann ich mir vorstellen.«
»Der kleine Joey Strom, der endlich lernt, wo die Musik spielt.«
Ich musterte sie, die tief liegenden dunklen Augen. »Schäm dich doch nicht für mich, Ruth.«
»Schämen?« Sie sah mich entgeistert an. Wieder loderten aus dem Haus die Flammen und sie stand auf der eiskalten Straße und biss den Feuerwehrmann. »Ich mich schämen? Schäm du dich nicht für mich!«
»Für dich ! Wie könnte ... Du bist da draußen und ... opferst dich für Sachen, von denen ich überhaupt nicht wüsste, dass es sie gibt, wenn ich dich nicht hätte.«
Die Muskeln in den Wangen meiner Schwester spannten sich. Einen Moment lang glaubte ich, sie würde weinen. Aber die Spannung löste sich wieder. Diesmal bot sie mir keinen Platz in der Bewegung an, machte keine Andeutungen, dass die armselige Welt selbst jemanden wie mich zu ihrer Rettung brauchen kann. Aber immerhin streckte sie eine rosa Handfläche aus und legte sie mir auf die Brust. »Und was spielst du?«
»Nenn eine Melodie und ich klimpere sie.«
Ihr Grinsen ging über das ganze Gesicht. »Joey ist ein Neger.«
»Nur in Atlantic City.«
»Halb Atlantic City ist schwarz«, sagte Robert. »Sie wissen es bloß noch nicht.«
»Das musst du dir von dem Mann hier erklären lassen. Eigentlich ist nämlich ganz Amerika afrikanisch. Komm, Schatz. Erzähl's ihm.«
Robert lächelte über die Art, wie sie das sagte. »Morgen. Heute Abend will ich schlafen. Ich bin erledigt.«
»Nehmt mein Bett, ihr zwei. Ich bleibe bei Teresa.«
»Teresa.« Meine Schwester lachte. »Und weiter?« Ich musste ihr Wierz-bicki buchstabieren. Ruth lachte noch einmal. »Weiß dein Vater, dass du eine Katholikin vögelst?«
Am nächsten Tag kehrte ich von Teresa zurück. Unterwegs ging ich in den Laden und holte Bier, Hühnchen, frisches Brot, Zeitschriften – all die Dinge, die es bei mir nicht gab. Aber als ich
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