Der Klang der Zeit
Hanf, den ich von den ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Streifzügen meines Bruders durch das Village in Erinnerung hatte. Jonah hatte eine Zeit lang experimentiert und dann war er darüber hinaus gewesen. Ich rechnete damit, dass es bei Kwame genauso gehen würde. Ich überlegte, ob ich Ruth etwas sagen sollte. Aber das hätte nur das bisschen Vertrauen untergraben, das ihr Sohn zu mir aufgebaut hatte.
Eines späten Abends im Winter 1988 kam Ruth zu mir in die Wohnung, Robert im Schlepptau. Das Kind war zwar erst vier, aber schon schlau genug, dass er wusste, was die Erwachsenen wollten, wenn sie beschwichtigende Laute ausstießen. Er stand dabei und zupfte seine Mutter an den Knien, versuchte sie zum Lachen zu bringen. Sie bemerkte es nicht einmal.
»Joey, der Junge hat mein Auto zu Schrott gefahren. An einem Telefonmast, zwei Blocks von unserem Haus. Dieser Schlägertyp, sein Freund Darryl, saß neben ihm auf dem Beifahrersitz und hatte eine offene Whiskyflasche auf dem Schoß. Weiß der Himmel, wo sie die gestohlen haben.«
»Ist ihm was passiert?«
»Nein. Jedenfalls nicht bis ich ihn in die Finger bekommen habe. Er kann von Glück sagen, dass wir vor der Polizei da waren.« Sie lief in meinem winzigen Wohnzimmer auf und ab. Ich kannte sie gut genug und versuchte gar nicht, sie zu trösten. Sie wollte nur jemanden, der ihr zuhörte. »Ich verliere ihn. Ich verliere meinen Ältesten.«
»Du verlierst ihn nicht. Du weißt doch, wie Kinder sind, Ruth.«
»Seit Robert tot ist, verliere ich ihn.«
»Das ist alles nur Kinderkram. In dem Alter schlägt man schon mal über die Stränge. So was gibt sich.« Sie schüttelte den Kopf, kämpfte mit etwas, das sie mir noch nicht gesagt hatte. »Raus damit«, sagte ich.
Sie wand sich. »Womit?«
»Mit dem, was du mir bisher verschwiegen hast.«
Sie sackte in sich zusammen. Sank zwischen mir und ihrem jüngeren Sohn auf das Sofa. »Er hat angefangen mich zu ... beschimpfen.« Ihre Stimme zitterte, und sie bewahrte nur mit Mühe die Fassung. Sie warf Robert einen Blick zu, und der erhob sich wie auf Kommando und ging in mein Schlafzimmer zum Spielen. Ruth beugte sich zu mir herüber. »Wir haben uns gestritten. Er hat mich ›weiß‹ genannt. Weiß! ›Du bist so weiß, Frau. Kleiner Blechschaden, na und. Wer interessiert sich schon für so ne alte Schrottkiste.‹ Wo hat er das bloß her? Der Junge ist gerade mal vierzehn und wirft mir seine Gene vor! Hasst mich, weil ich ihn infiziert habe.«
Sie zitterte am ganzen Körper. Ich konnte nichts für sie tun. Keinen Trost anbieten, nicht einmal ansatzweise. »Das ist erst der Anfang«, sagte ich. »Warte, bis er sechzehn, siebzehn ist. Dann geht es erst richtig los.«
»Um Himmels willen, Joey. Du meinst, es wird noch schlimmer? Das halte ich nicht durch.«
Aber sie hielt es doch durch. Auch wenn Kwame tat, was er konnte. Ruths Schule feierte erste Erfolge – sie gewann Auszeichnungen, bekam staatliche Fördermittel, war Gegenstand einer Sendung im regionalen Fernsehen –, aber ihr jugendlicher Sohn ging seiner eigenen Wege. Ich habe nicht einmal die Hälfte der Geschichten erfahren; Ruth schämte sich, mir alles zu erzählen. Kwame ließ sich nicht mehr blicken. Er erschien nicht mehr zu den Unterrichtsstunden, die uns beide nur wütend machten. Sechs Wochen nachdem ich ihn zuletzt gesehen hatte, fragte Ruth, ob er gute Fortschritte mache.
Kwame ließ sich die Worte BY ANY MEANS auf den Bauch tätowieren. Er formte seine kurz geschorenen Haare zu streng geometrischen Gebilden und trug ein Shirt mit der Aufschrift SICK IS auf der Brust und MY MUSE auf dem Rücken. Er brachte schlechte Noten nach Hause und schwänzte die Schule. Je mehr Ruth versuchte, an ihn heranzukommen, desto mehr kapselte er sich ab.
Dann wurden Kwame und vier Freunde – darunter sein Beifahrer Darryl – auf dem Schulklo erwischt, neben einer Toilette, in der so viele Amphetamine schwammen, dass man damit ein Rennpferd hätte vergiften können. Es war nicht klar, wer die Anführer waren und wer die Mitläufer. Bei der Anhörung in der Schule sagte Ruth, ihr Sohn brauche vor allem eine Disziplin, deren Sinn er einsehe, etwas, das sowohl ihm als auch der Schule nütze. Aber nachdem Kwame zu seiner Verteidigung einen Text von Ice Cube zitiert hatte, entschied sich der Direktor für den Schulverweis.
Ruth fand für ihn eine Privatschule, die auch jugendliche Straftäter aufnahm. Ein Internat wie das, was seine beiden Onkel Jahrhunderte
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