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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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konnten sie sich nicht leisten.
    Ich rechnete damit, dass der Junge zusammenbrechen würde, vor den Augen der versammelten New Day School. Auch Kwame sah es. Er versetzte seinem versteinerten Bruder einen Boxhieb. »He. He, sag ich, das ist cool, Mann. Das hat Groove. Das nächste Mal wenn Dig in der Stadt ist, kommst du mit und hörst dir mal 'nen anständigen G-Funk an, damit du weißt, wie das geht.«
    In seinem letzten Jahr an der technischen Schule lebte Kwame nur noch für seine Band, die nach und nach seinen gesamten Horizont ausfüllte. Sie waren Meister in ihrem Fach, schleuderten Worte, von denen ich keines mehr verstand, aber mit einem unbestreitbar pulsierenden Rhythmus. Etwas anderes hatte er nicht. Ruth versuchte zu ihm zu halten bei all seinen Eskapaden, sie stellte ihn zur Rede und stützte ihn doch, ohne dass er es merkte. »Hast du schon mal überlegt, wie es nach der Schule weitergeht?«
    »Mama, du nervst.«
    »Ich helfe dir nur suchen.«
    »Ich und die Band. Wir packen das. Nichts Großes. Aber wir pa-cken's.«
    »Wenn du rappen willst, brauchst du ein Thema. Du musst dir etwas suchen, was dich zusammenhält, solange du an dir arbeitest.«
    Bei mir machte sie sich Luft. »Gott, ich wünschte, ich wäre keine Pädagogin. Ich würde dem Bengel rechts und links Ohrfeigen versetzen, bis er zur Vernunft kommt.«
    Im August überfuhr ein Wagen aus der Wagenkolonne eines chassi-dischen Rebbe in Brooklyn eine rote Ampel, stieß mit einem anderen zusammen, schleuderte auf den Bürgersteig und tötete einen Jungen aus Guyana, einen Jungen, so alt wie Robert. Drei Tage lang kochte Crown Heights. Kwame und N Dig Nation schrieben einen langen Rapsong darüber, der den Irrsinn dieses Vorfalls aus jedem erdenklichen Blick-winkel beleuchtete. Der Song hieß »Black Vee Jew«, Schwarze contra Juden. Vielleicht bezog er Stellung, vielleicht enthüllte er auch nur. Bei Kunst weiß man das nie.
    »Dein Großvater war Jude«, sagte ich zu ihm. »Du bist selbst Vierteljude.«
    »Weiß ich doch. Irres Ding. Was hältst du von dem Act hier, Bruder Onkel?«
    Was immer der Text bedeutete, es war der erste Song, mit dem die Jungs ins Radio kamen – echtes Radio, ein Sender für die ganze Bay Area. Kwame war wie berauscht. »He, damit kann man Knete machen.« Die Band verdiente fünfhundert Dollar pro Nase damit. Kwame gab es für eine neue Stereoanlage aus.
    Ende September rief Ruth mich an, vollkommen aus der Fassung. Alle drei Mitglieder von N Dig Nation waren verhaftet worden; sie waren in einen Musikladen in West Oakland eingebrochen und hatten zwei Dut-zend CDs gestohlen. »Die machen ihn fertig. Die drehen ihn durch die Mangel. Die bringen ihn um, und keiner kann was beweisen.« Ich brauchte einer, Viertelstunde, bis ich sie wenigstens so weit beschwich-tigt hatte, dass ich den Namen der Wache erfuhr, auf der sie Kwame festhielten. Den nächsten hysterischen Anfall bekam Ruth, als wir dort-hin fuhren und sie ihren Sohn in Handschellen sah.
    »Wir haben überhaupt nichts gestemmt«, erklärte Kwame uns beiden. Er saß hinter eine Eisenstange, da, wo die Polizisten ihn gegen die Wand gedrückt hatten, war die Seite seines Gesichts aufgeschrammt. Er schlot-terte vor Todesangst. »Nur mal 'n bisschen Action.«
    Ich hatte das Gefühl, Ruth hätte den Jungen am liebsten selbst zu Tode geprügelt. »Willst du wohl reden, wie ich es dir beigebracht habe!«
    »Wir kaufen dauernd Sachen von dem Mann. Die Tür stand offen. Wir wollten es uns ja nur anhören, und dann hätten wir ihm das Zeug zurückgebracht.«
    »Schallplatten? Ihr habt Schallplatten gestohlen? Seid ihr denn von allen guten –«
    »CDs, Mama, und wir haben sie auch nicht gestohlen.«
    »Was um alles in der Welt habt ihr euch dabei gedacht, Schallplatten zu stehlen?«
    Er sah sie mit solchem Unverstand an, dass es beinahe schon Mitleid war. »Wir müssen das machen, Mann. Wir müssen denen zeigen, was wir draufhaben. Tritt die Arschlöcher in den Arsch. Verstehst du?«
    Ruth hielt sich wunderbar bei der Gerichtsverhandlung. Sie bat um ein Urteil, das ein Leben rettete, statt ein Leben zu vergeuden. Aber der Richter biss sich an dem, was er Kwames »Vorgeschichte« nannte, fest und entschied, dass der Gesellschaft am besten damit gedient war, wenn dieser jugendliche Straftäter für zwei Jahre hinter Gittern verschwand. Er betonte immer wieder, ein wie schwer wiegendes Vergehen ein Ein-bruch sei, und jedes Mal sagte Kwame: »Es war kein Einbruch.« Das

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