Der Klang des Herzens
Stattdessen hätte sie nicht entgegenkommender sein können.
Da sah sie einen Zettel auf dem Tisch liegen, nahm ihn zur Hand und las ihn. Dann warf sie einen Blick aus dem Fenster, auf den See.
»Gehen Sie ruhig«, sagte sie und nahm einen Schluck Kaffee. »Ich komme nach. Ich brauche noch einen Moment, um richtig zu mir zu kommen.« Sie lächelte entschuldigend und deutete zu den Stufen, die hinaufführten. »Schon gut. Schauen Sie sich ruhig um. Niemand wird Sie stören.«
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Nicholas nahm seinen Kaffee und ging, um sich das Haus, das seine Zukunft darstellte, noch einmal gründlich anzusehen.
Sie tauchte erst zwanzig Minuten später wieder auf, hatte sich umgezogen, trug jetzt ein frisches T-Shirt und einen weiten, losen Rock. Die Haare hatte sie zurückgebunden.
Er stand in der Diele im zweiten Stock und blickte von seinen Notizen auf. Gerade hatte er einen Blick in den Raum geworfen, den er für das große Schlafzimmer hielt.
»Wollen Sie da einen Durchbruch machen?«, erkundigte er sich. Auf dem Bettzeug lagen Staub und Pflasterbrocken.
»Das«, sagte sie vorsichtig, »ist eine lange Geschichte. Aber nein, da soll kein Durchbruch hin.«
»Dann sollten Sie dieses Loch aber so schnell wie möglich wieder zumachen. Das ist eine tragende Wand; so was könnte gefährlich werden.«
Er inspizierte kurz einen Riss in einer Ecke, aber als er sich wieder zu ihr umwandte, spähte sie gerade aus dem Fenster. »Mrs Delancey?«
»Ja? Oh, ich bitte um Entschuldigung. Ich … ich habe nicht sehr viel geschlafen. Vielleicht könnten wir das alles ja ein andermal besprechen.«
»Würde es Ihnen was ausmachen, wenn wir rausgingen? Hier drinnen habe ich alles Nötige gesehen.«
Jedenfalls genug, um zu wissen, dass Lauras Mann das war, was man in der Branche als »Cowboy« bezeichnete. Das Haus war eine kuriose Mischung aus Pfusch und hochwertiger Handwerksarbeit, aus Abriss und Aufbau, beinahe als wären hier zwei ganz verschiedene Menschen am Werk gewesen. Eins jedoch war klar: Das Haus erforderte weit mehr Arbeit, als selbst Laura es sich vorstellen konnte. Als er das letzte Mal hier gewesen war, hatte es lediglich alt und heruntergekommen auf ihn gewirkt, nichts, das sich nicht wieder instand setzen ließe. Aber was er heute gesehen hatte, bestärkte ihn in seiner Meinung, dass es das Beste war, das ganze Haus einfach abzureißen und neu anzufangen. Aber wie sollte er das Laura beibringen?
Er folgte ihr nach unten und hinaus in den Sonnenschein, wo er sofort bereute, ein Jackett angezogen zu haben. Er folgte ihr um die Hausecke, zum Gerüst, wobei er vergebens die Fliegen, die ihn umsummten, zu verscheuchen versuchte.
»Dieser Kamin da oben wird noch gemacht«, sagte sie und deutete hinauf. »Ich glaube zumindest, dass es der ist. Und da unten ist ein neues Abwasserrohr … oder vielleicht auch da …« Sie zählte noch ein paar andere Arbeiten auf, die sich nur schwer nachkontrollieren ließen.
Er hatte auf einmal Mitleid mit ihr. Da saß sie und merkte nicht, dass um sie herum das Haus eingerissen wurde.
»Also, was halten Sie davon?«, fragte sie, wohl weil sie seinen betretenen Gesichtsausdruck bemerkt hatte.
»Mrs Delancey, ich …« Er stockte, wusste momentan nicht, was er sagen sollte.
Sie starrten die rissige Backsteinwand an, die Schutthaufen, die Zementsäcke.
Sie musterte ihn forschend. »Sie finden es schlimm, ja?« Aber sie wartete seine Antwort nicht ab. »Mein Gott, Sie finden es furchtbar, nicht wahr? Ja, ich weiß, es ist furchtbar. Aber wenn man damit lebt, sieht man es irgendwann gar nicht mehr.«
Sie wirkte total geknickt. Nicholas musste sich fast zwingen, sie nicht zu trösten. Jetzt konnte er sich vorstellen, was Lauras Mann so anziehend an ihr fand: Sie war eine hilflose, mädchenhafte Frau. Sie weckte den Beschützerinstinkt im Mann, gab ihm, unabsichtlich oder nicht, das Gefühl, eine Art Ritter in schimmernder Rüstung zu sein.
Sie setzte ein tapferes Lächeln auf. »Also, was soll ich tun?«
»Nun ja«, überlegte er, »vielleicht sollte ich Ihnen einfach erst mal sagen, was alles nicht stimmt. Wenn Sie möchten.«
»Ja«, sagte sie fest. »Ja, ich möchte es wissen.«
»Also gut. Fangen wir mit dem Dach an …«
Matt sah durch die Windschutzscheibe, wie der Mann Isabel in sein Notizbuch schauen ließ und dann zum Dachfirst zeigte. Zuerst hatte er ihn für einen Musiker gehalten, dann für einen Lehrer – es gab hier nur sehr
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