Der Klang des Herzens
denn der Hirsch fuhr herum und sprang übers offene Feld davon.
Isabel blickte ihm nach. Ein Musikstück kam ihr in den Sinn: Metamorphosen-Sinfonie Nummer drei – Verwandlung Actaeons in einen Hirsch .
Das Tier verlangsamte seinen Lauf, blieb zögernd stehen und schaute sich zu ihr um. In ihrem Kopf ertönte die Eröffnungsfanfare, das Arpeggio, ein Symbol für die jungen Männer, die zur Jagd gekommen waren, gefolgt von einem zarten Adagio, Flöten, die für das Murmeln eines Bachs, das Rauschen des Winds standen.
Die Stille wurde jäh von einem Schuss zerrissen. Der Hirsch setzte erschrocken davon, stolperte dabei mehrmals über die feuchten Ackerfurchen. Noch ein Schuss. Isabel, die zunächst panisch hinter einen Baum gehüpft war, sprang nun hervor und setzte übers Feld hinter dem Tier her. Sie wollte wissen, woher der Schuss gekommen war.
»Stopp! Aufhören!«, schrie sie und riss sich den Schal vom Mund. »Wer immer Sie sind! Hören Sie auf zu schießen!« Ihr Herz raste. Sie versuchte zu rennen, aber die feuchte, zähe Erde des Ackers blieb an ihren Schuhen kleben.
»Stopp!«, kreischte sie in der Hoffnung, den unsichtbaren Jäger auf sich aufmerksam zu machen. Sie rieb einen Schuh an der Sohle des anderen, versuchte so, die Erde abzustreifen. Der Hirsch schien entkommen zu sein; dennoch wartete sie mit wild klopfendem Herzen auf den nächsten Schuss.
In diesem Moment sah sie den Mann übers Feld auf sie zukommen. Mühelos schritt er über die zähe, unebene Erde, ohne kleben zu bleiben. Sie konnte sein Gewehr sehen, das er nun, mit dem Lauf nach unten, in der Armbeuge hängen hatte.
Sie zerrte an ihrem Schal, um den Mund frei zu bekommen.
»Was machen Sie denn da?!« Vor Schreck klang ihre Stimme lauter als beabsichtigt.
Als der Mann sich ihr näherte, verlangsamte er seine Schritte. Sein Gesicht war gerötet, als habe er keine Störung erwartet. Er konnte nicht älter als sie sein, aber seine Größe verlieh ihm Autorität, und seine dunklen Haare waren brutal kurz geschoren. Sein Gesicht besaß den wettergegerbten Teint eines Mannes, der die meiste Zeit im Freien verbringt; scharfe Züge, vom Wind geschliffen.
»Ich schieße, was sonst?« Auch er wirkte erschrocken über ihr unerwartetes Auftauchen.
Isabel war es gelungen, ihre Füße aus der zähen Erde zu befreien, aber das Blut pochte ihr noch in den Ohren. »Wie können Sie es wagen?! Was sind Sie – ein Wilderer?«
»Ein Wilderer? Pah!«
»Ich rufe die Polizei.«
»Und was wollen Sie denen sagen? Dass ich versuche, das Wild vom frisch besäten Acker fernzuhalten?«
»Ich werde sagen, dass Sie ohne Erlaubnis mein Land betreten haben.«
»Das ist nicht Ihr Land.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Es gehört Matt McCarthy. Alles, bis zum Wald. Und ich habe seine Erlaubnis, jeden davon zu vertreiben, der mir vor die Füße läuft.«
Isabel schien es, dass er dabei vielsagend auf sein Gewehr schaute. »Soll das eine Drohung sein?«
Er folgte ihrem Blick und hob dann ungläubig die Brauen. »Eine Drohung ?«
»Ich will keine Waffen so nahe bei meinem Haus.«
»Ich hab nicht mal in die Richtung Ihres Hauses gezielt.«
»Mein Sohn streift hier herum. Sie hätten ihn versehentlich treffen können.«
Der Mann machte den Mund auf, schüttelte dann den
Kopf, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte mit hängenden Schultern übers Feld davon. Der Wind wehte ihr seine abschließenden Worte zu: »Dann müssen Sie ihm eben zeigen, wo die Grenzen sind, oder?«
Sie blickte ihm nach, und dabei fiel ihr der letzte Teil der Dittersdorf-Sinfonie ein. Der Hirsch war in Wirklichkeit ein verzauberter junger Prinz, der in einen verbotenen Teil des Waldes vorgedrungen war. Er wurde am Ende von seinen eigenen Hunden in Stücke gerissen.
Asad war mit den Eiern beschäftigt, nahm hie und da ein, zwei heraus und tat sie in andere Schachteln. Das Problem mit den Bio-Eiern war, dass, nun ja, biologische Materie dran klebte. An manchen zumindest. Und das war nichts für empfindsamere weibliche Seelen. Er hatte die Hände voller schmutziger Eier, die er sauber wischen wollte, als die Frau seinen Laden betrat.
Sie blieb einen Moment auf der Schwelle stehen und schaute sich beinahe ängstlich um. Sie trug einen langen, blauen Samtmantel, dessen Saum mit Schlamm bespritzt war. Aufgrund der Familienähnlichkeit erriet Asad, um wen es sich handelte.
»Mrs Delancey? Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment; ich lege die hier nur kurz weg.«
Als sie so
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