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Der Klang des Herzens

Titel: Der Klang des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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plötzlich der Heizkessel abschaltete. Er warf einen überraschten Blick auf die Uhr. Der Timer war auf halb zwölf eingestellt. Er kroch aus seinem Schlafsack, die hoffnungsvollen Blicke seiner Hunde ignorierend, und warf einen Blick nach draußen. Alle Lichter waren ausgegangen.
    Kurz darauf hörte er ein lautes Schluchzen. »Verdammtes Haus!«, schrie sie, »Scheiß Haus!«
    Ein Stromausfall. Er erstarrte. Vielleicht war bloß eine Sicherung rausgesprungen, aber Isabel wusste wahrscheinlich gar nicht, wo sich der Sicherungskasten befand. Er hätte das für sie in Ordnung bringen können, aber dann hätte er seine Anwesenheit erklären müssen.
    Byron rührte sich nicht. Meg, die seine Unruhe spürte, begann zu winseln. Er befahl ihr, still zu sein.
    Voller Unbehagen hörte er Isabel Delancey oben herumtappen. Das war einfach nicht richtig, nichts davon. Aber er war machtlos. Plötzlich ertönte Geigenmusik, ihre Verzweiflung in Musik umgesetzt. Er war kein Experte, aber selbst er hatte noch nie etwas so Trauriges gehört. Er musste daran denken, wie sie heute Nachmittag mit Matt gesprochen hatte, in der Hand ihr eselsohriges Kontobuch, das Gesicht abgehärmt vor Sorge und Schlafmangel. Also konnten selbst die Reichen am Abgrund landen. Sie war gar nicht so anders als er.
    Es war dieser Gedanke, der ihn schließlich bewog rauszugehen – das und die Erkenntnis, dass ein solcher Stromausfall seine Schwester und Lily genauso hätte treffen können wie jetzt Isabel. Er konnte sie hören, wie sie vollkommen selbstvergessen spielte. Er würde zur Vordertür gehen, schauen, ob im Kutschenhaus Licht brannte, und bei ihr anklopfen. Er würde sagen, er sei zufällig in der Nähe gewesen. Er würde sich besser fühlen, wenn sie und die Kinder wieder Licht hatten.

    Doch als er gerade die Tür hinter sich zuziehen wollte, hörte er das Knirschen von Autoreifen auf dem Kies. Wie sollte er seine Anwesenheit erklären, wenn sein eigenes Auto ganz woanders stand? Nein, er konnte es sich nicht leisten, gesehen zu werden. Lautlos machte er die Tür wieder auf und zog sich in den Heizungskeller zurück. Dort saß er im Dunkeln und wartete.
     
    Kein Licht brannte, und einen Moment lang befürchtete er, sie könnte mit den Kindern ausgegangen sein. Warum ihn das enttäuschte, hätte er nicht sagen können. Doch dann legte sich kurzzeitig der Wind, und er konnte sie drinnen Geige spielen hören. Ein Stromausfall also, wie er vermutete. Die Musik gefiel ihm, was vielleicht daran lag, dass er ein paar Biere getrunken, oder auch, dass er diese Art von Musik in den letzten Monaten schätzen gelernt hatte. Wie auch immer, Matt McCarthy blieb, wo er war, und hörte gebannt zu, das Fenster heruntergelassen, den kalten Wind im Gesicht, dessen Geheule ein eigenartig passendes Gegengewicht zu der traurigen, leidenschaftlichen Musik bildete. Still saß er vor dem Haus, das ihm gehören sollte, und ließ sich von Gefühlen durchdringen, die ihm eigentlich fremd waren.
    Die Lichter gingen nicht wieder an.
    Was ihn schließlich dazu bewog hineinzugehen, hätte er später selbst nicht genau sagen können. Das Bedürfnis, ihr zu helfen, vielleicht einen Blick in den Sicherungskasten zu werfen. Oder die Musik. In beiden Fällen belog er sich selbst. Die Vordertür war wie immer unverschlossen. Er trat ein und schloss sie leise hinter sich. Dann stand er einen Moment lang in der Diele und lauschte den Geräuschen des alten Hauses, das knarrte wie ein Schiff im Sturm. Er überlegte, ob er sich durch einen Ruf bemerkbar machen sollte, doch wusste er instinktiv, dass er damit die Musik stoppen würde. Und das wollte er nicht, wie er überrascht feststellte. Auf leisen
Sohlen durchquerte er die Diele und stahl sich die Treppe zur Küche hinunter. Dort stand sie mit geschlossenen Augen und spielte. Tränen liefen ihr übers Gesicht, wie er in dem schwachen Mondlicht erkennen konnte, das durchs Fenster hereinfiel.
    Er schaute sie an, und irgendetwas löste bei ihm einen Kurzschluss aus. Ihr Mund war leicht geöffnet, sie hatte den Kopf zur Seite gelegt, die Schultern zurückgenommen, vertieft in etwas, das er nicht besitzen konnte. Als die Musik ein Crescendo erreichte, biss sie sich in die Lippe und verzog das Gesicht, als würden ihr die Laute Schmerzen bereiten. Er konnte die Augen nicht von ihr abwenden, fühlte sich auf einmal wieder wie ein kleiner Junge, der Zeuge von etwas Verbotenem wird, etwas, das ihm verwehrt ist, das über ihm steht, außerhalb

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