Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
zusehends kleiner.
Scheinbar endlos lange stand Richard bewegungslos da und beobachtete die grünen Hügel, die sich hinter den grauen Felsen erhoben und dem endlosen, tiefen Blau des Himmels entgegenwuchsen. Dabei hörte er das fortwährende Kreischen der Möwen, die dem Schiff Meile um Meile folgten und sich vom Wind spielerisch durch die Lüfte tragen ließen. Er wusste, irgendwann würde er sich auf die Suche nach einem der Verantwortlichen des Schiffes begeben müssen und diesem darlegen, warum er noch immer an Bord war.
In dem Moment, als die sinkende Sonne den Horizont berührte, verschwanden die nur noch schwach in der Ferne sichtbaren irischen Hügel ganz aus seinem Blick. Richard löste sich aus seiner Erstarrung und drehte sich von der Reling fort.
Er befand sich achtern, auf dem Poopdeck, wo er vor ein paar Tagen auf Adam getroffen war, als er einen Weg gesucht hatte, um das Schiff verlassen zu können. Richard schüttelte den Kopf, und mit einem Anflug von Galgenhumor dachte er, dass er gerade auch nichts anderes tat. Diesmal allerdings mit Sicherheit ohne Erfolg.
Ein paar Familien mit kleineren Kindern aus der dritten Klasse standen an der Reling und blickten zum noch hellen Horizont, während ein junges Pärchen unterhalb der Mannschaftslandungsbrücke eng umschlungen dastand und vermutlich nichts von seinem Umfeld mitbekam.
Richard stieg eine der beiden steilen Metalltreppen auf das ebenfalls für die Passagiere der dritten Klasse gedachte Achterdeck hinunter. Vorsichtig drückte er sich an den Menschen vorbei, die die Treppe hinauf an Deck nahmen, um einen letzten Blick auf die Insel zu werfen, die sie gerade voller Hoffnung auf ein besseres Leben in einer anderen Welt verlassen hatten.
Der junge Mann überstieg auf seinem Weg in Richtung des A-Decks, wo er vermutlich einen Offizier, vielleicht aber auch Lord Pirrie finden würde, ein verriegeltes niederes Tor, das die Dritte-Klasse-Passagiere vom Promenadendeck der zweiten Klasse fernhalten sollte, trat durch eine Tür in das Schiff, eilte eine Treppe hinauf und kam am hinteren Ende des Bootsdecks der zweiten Klasse wieder hinaus. Zufrieden sah er sich um.
Allmählich begann er zumindest die wichtigsten Wege zu finden. Allerdings fragte er sich, warum er es so eilig hatte. Bis sie New York erreichten, würde er weder etwas Dringendes zu tun haben noch das Schiff verlassen können. Zuallererst einmal wollte er Adam und Norah über seine Anwesenheit in Kenntnis setzen, bevor er sich offiziell als unfreiwilliger blinder Passagier zu erkennen gab.
Richard schlenderte langsam, auch wenn ihm das in seiner Aufregung etwas schwerfiel, an den Rettungsbooten vorbei. Er grüßte die vornehm gekleideten Damen und Herren, die an Deck standen oder es sich, in Decken gehüllt, bereits in den Liegestühlen bequem gemacht hatten.
Richard passierte den Lüftungsschlot, ging an der Glaskuppel vorbei, die die Treppe in den Rauchersalon und das Café der ersten Klasse überdachte, und blieb zwischen dem zweiten und dritten Kamin am Peildeck der Navigatoren stehen.
Ein paar Matrosen waren dort beschäftigt, und schnell konnte er Adam unter ihnen entdecken. Der große Mann drehte sich um, sah ihn und stutzte. Richard hörte ihn trotz der Entfernung zwischen ihnen lauthals auflachen. Mit flinken Schritten war Norahs Bruder bei ihm und baute sich mit seiner gewaltigen Körpermasse vor ihm auf. Richard grinste ihm etwas befangen direkt ins Gesicht.
„Hast du den Ausgang nicht gefunden?“, spottete Adam.
„Ich war noch nicht fertig mit der Arbeit.“
„Dann hättest du einfach aufhören sollen.“
„Ich dachte, ich schaffe es noch. Als ich begonnen habe, das Klavier zu stimmen, hatte ich noch keine der Schiffspfeifen gehört, und ich wollte meine Arbeit zufriedenstellend erledigen. Immerhin hat die White Star Line für das Schwesterschiff Gigantic eine unserer neuen Philharmonie-Orgeln bestellt. Sie soll in das Treppenhaus zum Speisesaal der ersten Klasse, unterhalb der Glaskuppel. Ich dachte, wenn ich das Klavier nicht ordnungsgemäß übergebe, würde die White Star den Auftrag für die Orgel am Ende noch stornieren.“
„Wenn ich dich richtig verstanden habe, Rick, gibt es außer der Firma Welte weltweit kein anderes Unternehmen, das solche Instrumente anbietet. Wem also sollte die White Star den Auftrag dann geben?“
Richards Grinsen wurde ein wenig schief. Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als Adam recht zu geben und einzusehen, dass es sein
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