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Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Titel: Der Klang des Pianos: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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des Rauchersalons und packte dann den Wäschewagen mit der alten Wäsche, um ihn in den Flur hinauszuziehen. Allerdings kam sie nicht weit. Noch vor der Tür der Erste-Klasse-Bibliothek stellte sich ihr eine breite Gestalt in den Weg.
    Norah blickte über die gewaltigen Wäscheberge hinweg und entdeckte zu ihrer maßlosen Verwunderung Chloe. „Was machst du denn hier?“, fragte sie und schob den sperrigen Wäschewagen eilig an die Wand. Sie drückte sich an ihm vorbei und fiel der Freundin um den Hals. Doch Chloe schob sie energisch von sich und hielt sie mit festem Griff an den Oberarmen fest.
    Norah sah ihre Freundin fragend an. Ihre sonst so ausdrucksvollen Augen wirkten seltsam leer und auf ihren ernsten Gesichtszügen hatten sich innerhalb weniger Tage tiefe Falten eingegraben.
    „Norah“, seufzte sie mit versagender Stimme.
    „Was ist los?“, entfuhr es der Stewardess.
    „Katie ist verschwunden, Norah!“, stieß Chloe hervor, und Tränen schossen ihr in die Augen.
    „Katie?“ Norahs Magen zog sich krampfartig zusammen. Sie schnappte nach Luft und trat einen Schritt zurück, als könne sie so der schrecklichen Nachricht ausweichen – und allen weiteren Gedanken, die ihr sofort durch den Kopf schossen.
    Chloe streckte ihr einen zerknitterten, verschmutzten Zettel entgegen. Norah nahm ihn in die Hand, sah die Freundin aber weiterhin entsetzt an.
    „Ella ist am Ende, Norah. Erst verschwand ihr Mann und jetzt Katie. Sie wollte nicht, dass ich zu dir gehe, aber ich dachte, du würdest das sehen wollen“, fuhr Chloe fort und tippte mit dem Zeigefinger auf das Papier in Norahs Hand.
    Nun endlich faltete Norah mit bebenden Händen das Blatt auseinander. Eine männliche Handschrift, gleichmäßig und sichtbar geübt, teilte dem Leser mit, dass der Verfasser des Zettels Katie gegen Norah Casey eintauschen würde. Norah hatte das Gefühl, als ziehe ein wirbelnder Strudel sie unbarmherzig in die schwarze Tiefe eines eiskalten Gewässers. Die arme Katie! Wie konnte jemand so abgrundtief gemein sein und ein kleines Mädchen entführen – um ihr, Norahs, Kommen einzufordern?
    „Ich packe sofort meine Sachen, Chloe. Sieh du zu, dass eines der Zubringerboote angelegt bleibt und uns mitnimmt“, entschied Norah sofort. Sie schob den Wäschewagen in eine nahe Abstellkammer und rannte den endlos lang erscheinenden Korridor entlang, bis sie in ihre Kabine kam. Nachdem sie gepackt hatte, suchte sie Violet Jessop in ihrer Kabine auf, die sie gemeinsam mit Elizabeth Leather bewohnte.
    „Norah!“, stieß Violet verwundert aus, als die junge Frau ohne vorheriges Anklopfen hereingestürmt kam. „Was ist denn los?“
    „Eine Freundin von mir steckt in bösen Schwierigkeiten. Ich muss dringend nach Hause. Es ist doch genug Personal an Bord. Würdest du mich bitte abmelden und …“ Norah stellte ihr Gepäck ab, zog einen Schreibblock vom Tisch und kritzelte eine kurze Nachricht für Adam nieder. „Bitte sei so nett und gib das hier meinem Bruder.“
    „Meine Güte, Norah. Die White Star Line wird nicht gerade begeistert sein, wenn du so kurzfristig abspringst.“
    „Es geht um das Leben eines fünfjährigen Mädchens“, erklärte Norah. Gleichzeitig wuchtete sie den Koffer wieder aus der Kabine in den Flur und winkte Violet zu.
    Einen Moment überlegte sie, ob sie in den Speisesaal zu Richard laufen sollte, damit sie ihm die Änderung ihrer Pläne mitteilen konnte. Als sie jedoch die Signalpfeife hörte, wurde ihr klar, dass er die Titanic ohnehin schon verlassen hatte. Er war vermutlich auf dem Weg in das Hotel, in dem er noch eine Nacht verbringen würde, ehe er nach Freiburg zurückkehrte.
    Mit dem Koffer in der Hand hastete sie durch das Schiff. Obwohl sie keine Probleme hatte, sich zu orientieren, konnte sie die Klage so manches Angestellten der White Star Line nun verstehen. Die Wege erschienen auch ihr heute unendlich lang. Hoffentlich war es Chloe gelungen, eines der Boote aufzuhalten, die die Passagiere und die Post aus Queenstown zur Titanic herübergebracht hatten. Sie konnte Katie und Ella unmöglich im Stich lassen! Mit diesem Gedanken verließ Norah überstürzt das Schiff, um nach Belfast zurückzukehren.

    Keuchend warf Richard sich gegen die Reling. Entsetzt sah er, wie die Titanic drehte und ihre gewaltigen Schrauben dabei den Grund aufwühlten, sodass das Wasser sich schmutzigbraun verfärbte. Die von der Mittagsonne beschienenen Häuser der Stadt leuchteten weiß zu ihm herüber und wurden

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