Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
Perfektionismus gewesen war, der ihn in diese missliche Lage manövriert hatte.
„Der korrekte Deutsche“, lästerte Adam. „Du wolltest nur in Norahs Nähe bleiben, gib es zu.“
„Unsinn!“, begehrte er auf – wobei ihm, wenn er ehrlich war, der Gedanke gefiel, nun doch nicht über mehrere Wochen von ihr getrennt zu sein. Trotzdem fügte er verteidigend hinzu: „Sie wird ohnehin keine Zeit für mich haben. Sie hat mir gesagt, dass sie hier an Bord siebzehn Stunden am Tag arbeiten muss.“
„Dann wirst du eben mit mir und Dylan vorliebnehmen müssen“, lachte Adam, bevor er wieder ernst wurde. „Eigentlich müsste ich dich melden und einsperren lassen. Du bist ein blinder Passagier.“
„Aber ein unfreiwilliger!“, verteidigte sich Richard. „Ich werde Lord Pirrie suchen und ihm meine Situation erklären.“
„Daraus wird wohl nichts“, erwiderte Adam. „Zum einen würde dir ein Zutritt in die erste Klasse verwehrt werden, zum anderen ist der Lord gar nicht auf dem Schiff.“
„Lord Pirrie ist nicht an Bord? Er wollte auf der Jungfernfahrt seines größten und neuesten Schiffes doch unbedingt mit von der Partie sein!“
„Ich habe gehört, er sei krank geworden und musste die Reise absagen. Mr Andrews ist an seine Stelle getreten.“ Adam zuckte gleichgültig mit den Schultern. Er winkte einem anderen Matrosen zu, der ihn bereits zum zweiten Mal gerufen hatte, um diesem zu signalisieren, dass er ihn sehr wohl gehört hatte und gleich kommen würde.
„Aber dir bleibt ja noch Andrews, der deine Anwesenheit rechtfertigen kann. Und wie ich ihn einschätze, ist der durchaus auch in der zweiten Klasse anzutreffen. Oder du wendest dich an unseren ersten Zahlmeister, McElroy. Der ist ein freundlicher Mann mit viel Verständnis und guten Nerven.“ Adam versuchte wenig erfolgreich, seine Belustigung zu unterdrücken. „Er wird dir auch deine Übernachtungen und deine Mahlzeiten sichern und ein Telegramm für dich aufgeben. Vermutlich solltest du die Firma Welte wissen lassen, wo du dich herumtreibst. Ich hab in drei Stunden Schluss. Wo deine Kajüte ist, weiß ich ja. Oder denkst du, sie wurde inzwischen von anderen Passagieren belegt?“
Richard schüttelte den Kopf. Er hatte eines der Zimmer bewohnt, das bei der Jungfernfahrt der Titanic eigentlich leer geblieben wäre.
„Ich hole dich ab und dann schauen wir mal nach Dylan, in Ordnung, Rick?“
Richard wurde einer Antwort enthoben, denn Adam war bereits an seine Arbeit zurückgeeilt.
Zögernd trat Richard zur Reling hinüber und lehnte sich gegen die kühlen Metallstangen. Obwohl ihm der Wind vom Meer kräftig entgegenwehte, roch er noch immer die frische Farbe der weißen Lackierung. Die Titanic war ebenso neu wie die Tatsache, dass er sich entgegen seiner sorgfältig durchdachten Pläne so plötzlich – und dazu in ein mittelloses Mädchen – verliebt hatte. Sosehr das Schiff auch als eine Schönheit angepriesen wurde und jeder Passagier bei dem Gedanken, bei ihrer Jungfernfahrt dabei sein zu dürfen, vor Aufregung und Stolz überschwänglich reagierte, so war dies alles nichts gegen die Schönheit und die inneren Werte, die er bei Norah entdeckt hatte – und gegen seinen Stolz, dass sie ausgerechnet ihm ihre Liebe schenkte. Selbst die Aufregung, die ihn überkam, wenn Norah auch nur in seiner Nähe war, ihn ansah oder anlächelte, musste das Hochgefühl der Reisenden bei Weitem übertreffen. Über seine schon wieder abdriftenden Gedanken den Kopf schüttelnd stieß er sich ab und ging über die hellen, schmalen Holzplanken in Richtung Heck. Noch vor einem Jahr hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als sich mit der an Bord befindlichen High Society zu umgeben und ihren Luxus mitzuerleben. Jetzt hatte er beides – nachdem dieser Wunsch in ihm so unbedeutend klein geworden war.
Richard nahm sich vor, diese Reise als der zu genießen, der er war: ein einfacher Instrumentenbauer, den es zufällig in eine noble Zweite-Klasse-Kabine auf einem Luxusdampfer verschlagen hatte. Womöglich würde er, oder die Firma Welte, für einen Teil der Überfahrtskosten aufkommen müssen, doch darüber konnte er sich noch Gedanken machen, wenn es so weit war. Jetzt würde er erst einmal die Bordfunker bitten, ein Telegramm für ihn aufzugeben, damit die Herren Welte und Bokisch erfuhren, dass mit seiner Rückkehr nicht vor Ablauf von etwa drei Wochen zu rechnen war.
Kapitel 29
Früh am Morgen verließ Norah Chloes kleines Haus. In der Hoffnung,
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