Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
ihr nachdenklich ins Gesicht. „Nein. Du kennst mich doch, Chloe. Auch ich werde weiterleben und eines Tages wieder lachen können, denn ich weiß, dass wir Freude und Glück erst richtig schätzen lernen, wenn wir auch Leid und Schmerz kennen.“
„Was ist es dann, Sternchen?“
„Ich werde vielleicht nie wieder dieselbe sein wie zuvor. In mir steckt jetzt diese Angst, dass bei allem, was ich tue, jemand zu Schaden kommen könnte.“
„Nicht das, was du getan hast, hat jemand anderem Schaden zugefügt. Dieser Ryan ist der Böse, Norah.“
Norah vergrub ihr Gesicht wieder in Chloes Halsbeuge. Eines hatte sie ihrer Freundin verschwiegen: Eine stetig wachsende Angst hatte sie ergriffen, sosehr sie sie auch zu unterdrücken versuchte, und diese betraf ihr eigenes Leben.
Sie ahnte, sie würde sich irgendwann in den nächsten Stunden diesem Ryan stellen müssen, und sei es nur, um einen letzten verzweifelten Versuch zu Katies Rettung zu unternehmen, sollte der Detektiv nicht fündig werden. Und nur Gott allein wusste, ob sie dieses Zusammentreffen überleben würde. Es ging gegen ihre Natur, sich im Voraus Sorgen um ein Ereignis zu machen, vor allem, wenn der Verlauf von ihr kaum beeinflusst werden konnte. Doch diesmal empfand sie echte Todesangst, und sie fragte sich, ob es daran lag, dass es da nun einen jungen Mann gab, für den sie gern weiterleben wollte …
Die Kristallprismen am Deckenleuchter warfen bunte Muster an die hohe Decke und auf die golddurchwirkte Tapete und verliehen Helenas Auftritt die gewünschte dramatische Wirkung, als sie auf Ben Beckett zuschritt. Die Perlen in ihren Haarkämmen schimmerten sanft und erzeugten den Eindruck, als hätte sie kleine Sterne in ihrem blonden Haar.
Der Detektiv war sichtlich hingerissen von ihrem Anblick. Er ergriff ihre Hand und drückte sie fest. Helena trug keine Handschuhe und konnte sich nur mühsam daran hindern, ihre Hand angewidert an ihrem Kleid abzuwischen. Aber sie hatte sich im Griff und schenkte dem Mann, der ihr bei jeder Begegnung unsympathischer wurde, ihr hinreißendstes Lächeln.
„Sie wollten zuerst informiert werden, Lady Andrews, ehe ich Miss Casey eine Nachricht zukommen lasse.“
„Das heißt, Sie haben bereits etwas in Erfahrung gebracht, Mr Beckett? Ich wusste, ich habe mit Ihnen einen der besten Detektive Irlands angeheuert“, schmeichelte sie ihm.
„Ich habe dank Norah Caseys ausführlicher Aussage herausgefunden, dass Ryan Cowen tatsächlich einen kleinen Landsitz außerhalb von Belfast unterhält. Dort gibt es einen Gärtner, einen Butler und eine alte, sehr gesprächige Haushälterin. Diese erzählte mir, in den letzten Tagen sei Seltsames im Haus vor sich gegangen. Der Hausherr habe schon öfter einmal sehr junge Damen auf dem Landsitz untergebracht, allerdings noch nie so abgeschottet in einem Gästezimmer, welches ausschließlich der Butler betreten darf, wie dieses Mal.“
„Das klingt vielversprechend, muss aber noch nichts bedeuten“, äußerte Helena vorsichtig ihre Zweifel, damit sie den Mann nicht verprellte, der später sehr wichtig für ihre Pläne sein würde.
Er lächelte breit, kam noch einen Schritt näher und musterte sie unverhohlen.
In diesem Moment bereute sie beinahe ihre Entscheidung für dieses weit ausgeschnittene, im Brustbereich fast durchsichtige Kleid. Aber sie spielte ihre Rolle weiter, ohne ihrem inneren Wunsch nachzugeben, einige Schritte nach hinten auszuweichen.
„Ich habe mich selbstverständlich sehr intensiv mit dem Fall beschäftigt, Lady Andrews“, raunte er, so kam es ihr vor, in ihren Ausschnitt.
Helena schenkte dem Mann ein gezwungenes Lächeln. Einerseits stieß er sie ab, andererseits schmeichelte ihr seine Anrede. Durch ihren nur recht entfernten Verwandtschaftsgrad zu der adeligen Familie Pirrie stand ihr eigentlich keine Adelsanrede zu.
„Ich habe das Anwesen einige Stunden lang beobachtet und konnte, als im Inneren die Lichter entzündet wurden, an einem Fenster ein rothaariges kleines Mädchen sehen. Es drückte das Gesicht gegen die Scheiben und weinte.“
„Hervorragende Arbeit, Mr Beckett“, lobte Helena und wandte sich ab. Sie musste dringend mehr Abstand zwischen sich und diese Kreatur bringen. Ihr Blick fiel auf Emily, die abwartend in der Tür stand. Offenbar passte die Zofe auf sie auf, wie es dem Wunsch ihrer Eltern entsprach. Zum ersten Mal verspürte Helena eine gewisse Erleichterung über die Anwesenheit der Frau.
„Wie gehen wir jetzt also vor,
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