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Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Titel: Der Klang des Pianos: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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wenigen Rettungsboote und beschleunigte seine Schritte, womit er auch die Zwölfjährige zu einer schnelleren Gangart zwang. Sie erreichten Boot 13, fast am Ende des Bootsdecks.
    „Adam!“, rief er über die Köpfe der Menge hinweg, die jetzt dazu angehalten wurde, zügiger in die Rettungsboote zu klettern. Richard sah erleichtert, dass diese nun auch besser gefüllt wurden.
    Adams Augenbrauen waren besorgt zusammengezogen, aber trotz allem strahlte er die ihm eigene Ruhe und Gelassenheit aus. Richard deutete von oben auf Ruths blonden Haarschopf. Norahs Bruder winkte sie einmal kurz mit der Hand herbei und konzentrierte sich dann wieder auf seine Aufgabe.
    „Du kannst in das Boot hier vorne steigen, Ruth, in die Nummer dreizehn.“
    Ehe er weitersprechen konnte, drehte sich vor ihm eine Frau um und starrte ihn an. „Die dreizehn? Das ist das Rettungsboot Nummer dreizehn? Die Unglückszahl? Da steige ich nicht ein!“ Damit drehte sie sich um und marschierte in Richtung Bug, obwohl sich die dortigen Rettungsboote bereits alle auf dem Wasser befanden.
    Richard schüttelte den Kopf über so viel Unvernunft, doch er konnte sich jetzt keine Gedanken um die Frau machen. Stattdessen dirigierte er Ruth an den Schultern in die frei gewordene Lücke. Dabei entdeckte er auch den kleinen Niklas in dem Boot. Der Junge winkte ihm zu und rief etwas, was Richard jedoch nicht verstand, wobei bei jedem seiner Worte eine weiße Atemwolke vor seinem Gesicht entstand. Da Richard weder den Vater noch die Mutter des Jungen im Boot sehen konnte, nahm er an, dass Niklas wollte, dass er nach ihnen Ausschau hielt.
    „Ich suche deine Familie!“, rief er hinüber, und Niklas, der aufgestanden war, setzte sich wieder.
    Richard drehte sich um und kämpfte sich durch die ihm entgegendrängenden, unruhig gewordenen Passagiere zur Tür durch. Es wurde zunehmend schwieriger, sich auf den Beinen zu halten. Allerdings würde ihm das Gehen in den Korridoren leichter fallen, da er sich dort an den Flurwänden abstützen konnte.
    Er nahm das Personaltreppenhaus und stieg hinunter in den Bauch des Schiffes. Im D-Deck eilte er den Korridor entlang und versuchte sich zu erinnern, in welchem Bereich die schwedische Familie ihre Kabine hatte.
    Zwei Frauen kamen ihm entgegengeeilt. Sie diskutierten lautstark auf Italienisch miteinander und beachteten ihn in ihrer Aufregung überhaupt nicht. Richard klopfte an mehrere Türen, doch niemand antwortete ihm. Koffer und Kleidungsstücke lagen wild verstreut auf dem Boden des Korridors. Nachdenklich blieb er stehen, um sich neu zu orientieren, wobei er über das eigentümliche Knarren des arbeitenden Bootsstahls hinweg ein unerwartetes leises Weinen vernahm. Richard verharrte bewegungslos und versuchte auszumachen, aus welcher Richtung es kam.
    Der Rumpf des Schiffes ließ ein tiefes, bedrohlich anmutendes Knarren hören. Gleich darauf knarzte es an einer anderen Stelle, und plötzlich flackerte sekundenlang das Licht, doch es blieb an. Wieder hörte er das Weinen, doch es war ihm unmöglich zu orten, aus welcher Richtung es kam. Unentschlossen drehte er sich einmal um sich selbst. Hier unten auf dem D-Deck schien außer der verzweifelten Person, die er hörte, aber nicht sehen konnte, alles verwaist zu sein.
    „Hallo?“, rief er laut.
    Das Weinen verstummte und setzte auch nicht mehr ein. Hatte er es sich nur eingebildet? Oder kam das Geräusch ebenfalls von dem stark beanspruchten Stahl des Schiffes?
    Dieses erzitterte nun, begleitet von einem lauten, beinahe ohrenbet äubenden Knarren, das immer höher wurde und schließlich nur noch als schrilles Quietschen und Pfeifen wahrzunehmen war. Richard erinnerte es an einen verzweifelten Aufschrei. Läutete dieses nervenzerreißende Geräusch das letzte Aufbäumen der Titanic ein?
    Ihm wurde mulmig zumute. Er erschrak zutiefst, als ihm klar wurde, dass er sich vollkommen allein in einem Korridor dieses leckgeschlagenen Kolosses aufhielt. Unbehagen und Furcht krochen im gleichen Maße in ihm hoch, wie auch das Wasser in das Schiff hineindrängte.
    Richard fuhr herum und rannte los. Eine Tür vor ihm barst, woraufhin ihm ein gewaltiges Brausen und Rauschen entgegenschallte. Richard wusste sofort, dass in diesem Moment das eisige Wasser des Ozeans auf ihn zusprudelte.
    Er lief noch schneller und begegnete erneut den beiden verwirrten italienischen Frauen, die ihm aus einem der anderen Korridore entgegenkamen. „Folgen Sie mir!“, rief er ihnen zu – zuerst auf

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