Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
von Uniformen, Schulterstücken und sogar an der Seite getragenen Säbeln weckte in Richard ungute Erinnerungen.
In seiner einjährigen Militärzeit war es doch tatsächlich jemandem eingefallen, ihn in die deutsche Kolonie Togo zu schicken. Zwar hatte er, da nahe an der Grenze zum britischen Kolonialgebiet Goldküste eingesetzt, den Kontakt mit den Engländern genutzt, um sein Englisch zu verbessern, doch er hatte unter den dreisten Angriffen seines direkten Vorgesetzten gegen ihn gelitten. Der Leutnant stammte – wie im Grunde alle Offiziere – aus adeligem Hause und war ein überheblicher, menschenverachtender Bursche gewesen. Seine Führungsqualitäten hatten sich in Grenzen gehalten, was er durch übertriebene Härte wettzumachen versuchte.
Bevorzugt pickte der Leutnant kleine Unachtsamkeiten seiner Soldaten heraus, um sie schikanieren zu können. Ein paar winzige Erdkrümel in den Schuhsohlen hatten ihm genügt, um Richard erst einem fast unmenschlichem Drill zu unterziehen und ihn anschließend tagelang die einfachen, schlecht sauber zu haltenden Baracken schrubben zu lassen.
Auf dieses demütigende Erlebnis hin war Richard mit seinem Eigentum noch sorgfältiger und ordentlicher umgegangen als zuvor schon. Enttäuscht von den Kameraden, die ihm nicht zur Seite gestanden hatten, hatte er sich in sich selbst zurückgezogen, und sein Wunsch, eines Tages ein besseres Leben zu führen, war in den damaligen Wochen zu einem regelrechten inneren Schwur geworden. Nicht noch einmal sollte ihn jemand auf diese Weise herumkommandieren! Richard wollte über sein Leben selbst bestimmen; er wollte Macht und Geld genug besitzen, um niemals wieder einer solchen Situation ausgesetzt zu sein.
Richard sah auf, als er von einer freundlichen Frau Welte an den Tisch gebeten wurde. Die Familie und ihre Gäste hatten bereits mit der Mahlzeit begonnen, weshalb Richard sofort den Hauptgang serviert bekam.
Norah beugte sich zu ihm hinüber, legte ihre Hand auf seinen Arm und flüsterte: „Ich habe Sie doch nicht von etwas Wichtigem abgehalten, Mr Martin? Margarete versicherte mir, Sie seien alleinstehend.“
Richard nickte und überlegte, wer denn wohl Margarete sein könnte.
„Und Franz sagte zu Onkel Edwin, er wisse, wo Sie wohnen. Man müsse also nicht erst hinüber ins Büro und in den Unterlagen nachsehen.“
Wieder blieb Richard nichts anderes übrig, als stumm zu nicken. Franz musste demnach der Bote sein, der ihm die Nachricht überbracht hatte.
„Jetzt kommen Sie also noch zu einer überwältigend reichhaltigen Mahlzeit!“, flüsterte sie ihm zu, ehe sie die Hand von seiner Anzugjacke nahm.
Verwirrt sah er sie an, und die tiefen Grübchen in ihren Wangen verstärkten den schelmischen Ausdruck in ihrem Gesicht noch, während sie ihm zuzwinkerte.
Richard genoss seine Mahlzeit, und nach und nach breitete sich ein Gefühl in ihm aus, das er selten einmal verspürte. Es war so etwas wie eine beinahe unbeschwerte Belustigung über die Situation. Dieser Zustand nahm ihm ein wenig die Anspannung, die er gewöhnlich in Gesellschaft wichtiger Gäste empfand. Immerhin musste er fortwährend auf der Hut sein, damit er den Eindruck erweckte, dazuzugehören.
Er übersetzte alle direkt an Norah gerichteten Fragen oder Anmerkungen, obwohl er wusste, wie unnötig dies eigentlich war – ebenso auch ihre Antworten. Norah spielte, aus welchem Grund auch immer, meisterhaft die ausländische Besucherin, die auf seine Übersetzerdienste angewiesen war.
Gerade als er sich halbwegs wohlzufühlen begann, wurde die Mahlzeit beendet und die Männer wechselten zum Rauchen in den Garten hinaus. Er selbst musste jedoch den Damen in die Bibliothek folgen, wovon er nicht gerade begeistert war, aber von ihm wurde schließlich erwartet, dass er seiner Aufgabe als Dolmetscher nachkam.
Die Frauen ließen sich auf den mit erlesenen Stoffen bezogenen Stühlen und Sesseln nieder, und obwohl Norahs Kleid im Gegensatz zu den Abendroben der anderen Anwesenden sehr einfach gehalten war, schien sie das nicht weiter zu beeindrucken. Fröhlich lächelnd gesellte sie sich zu der illustren Runde und wurde von einer sehr schlanken jungen Frau mit aufgesteckten braunen Haaren unverzüglich angesprochen. Richard stellte sich seitlich hinter Norahs Stuhl und dolmetschte. Zwischendurch blickte die Irin immer wieder zu ihm auf, wobei er deutlich den Schalk in ihren dunklen Augen aufblitzen sah. Eine der Hausangestellten der Weltes reichte unterdessen ein Tablett
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