Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
wie auch die bisherigen unter Senior Commander Edward J. Smith.“
„Waren Sie auf der Jungfernfahrt dabei? Die Zeitungen waren ja übervoll von den Berichten. Man sagt, auf dem Schiff gebe es ein Türkisches Bad im Stil des 17. Jahrhunderts und einen Gymnastikraum, dazu ausgebildete Sportlehrer und Masseurinnen. Und ein À-la-carte-Restaurant.“
Richard übersetzte, obwohl er wusste, dass die junge Irin die begeisterten Ausrufe sehr wohl verstanden hatte – was sich für einen aufmerksamen Beobachter auch an ihrem Lächeln erkennen ließ. Mit leuchtenden Augen fügte Fräulein Luise hinzu: „Man nennt die Olympic einen schwimmenden Palast. Ihre Innenausstattung soll so erlesen sein wie auf keinem anderen Schiff.“
Die Unterhaltung zwischen den Damen drehte sich weiter um die Olympic und deren noch im Bau befindliches Schwesterschiff, das sogar noch größer und luxuriöser ausfallen sollte.
Norah lehnte sich bequem in ihrem Sessel zurück, faltete die Hände in ihrem Schoß und lauschte mit diesem Lächeln, das ihre Grübchen hervortreten ließ, der angeregten Unterhaltung. Sie genoss es sichtlich, den munteren Gesprächen zuzuhören, ohne weiter befragt zu werden.
Richard hingegen wurde zunehmend unruhig. Dass er nun vollkommen übersehen wurde, verursachte ein penetrantes Zwicken in seinem Inneren. Wenn er schon hier in der Bibliothek ausharren musste, wollte er sich gern weiter mit den Damen unterhalten, damit sein Gesicht und sein Name in ihrem Gedächtnis haften blieben. Das konnte nur von Vorteil für ihn sein.
Aber genau wie Norah wurde nun auch er über dem allgemeinen Geplapper vergessen. Einen kurzen Moment lang überlegte Richard sogar, ob er einfach zu den Männern hinausgehen sollte. Sie unterhielten sich vermutlich nicht über die Luxuseinrichtung von Schiffen, sondern über die Eiszeit zwischen dem britischen Empire und den Deutschen, seit Kaiser Wilhelm die zweite Großmacht hinter England auf den Weltmeeren aufgebaut hatte.
„Sie unterscheiden sich in nichts von den englischen Aristokraten oder dem amerikanischen Geldadel!“, flüsterte Norah ihm amüsiert zu.
„Gibt es daran etwas auszusetzen?“, fragte er brüsk nach.
„Nein“, lautete ihre knappe Antwort, während ihre Augen einen Moment lang prüfend auf ihm ruhten, ehe sie den Kopf wieder abwandte. „Sie haben eben eine andere Art, ihrem Leben einen Sinn oder ein Ziel zu geben“, erklärte sie weiter. Es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme, wohl aber ein Hauch von Schmerz. In Anbetracht der unbeschwerten Heiterkeit, die sie meist an den Tag legte, verwunderte ihn diese neue Seite an ihr.
Kapitel 5
Die erste Woche von Norah Caseys Besuch verging wie im Flug, was vor allem an der nicht enden wollenden Energie der jungen Irin liegen mochte. Gemeinsam mit ihrem Begleiter erkundete sie in den frühen Morgenstunden die verschiedenen Stadtteile Freiburgs, über die Mittagszeit und nachmittags unternahmen sie Ausflüge in die Umgebung, und abends folgten sie den Einladungen verschiedener junger Damen, die in Freiburg ansässig waren oder den Frühsommer im Breisgau verbrachten.
Zum Gottesdienst am Sonntag wünschte sie sich, dass sie eine evangelische Gemeinde aufsuchten. Das freute Richard einerseits, da er sich dort ebenfalls wohlfühlte, verwunderte ihn aber zugleich, denn er war davon ausgegangen, dass sie als Irin Katholikin war.
Einen Tag vor ihrer geplanten Abreise durchforschte Norah jeden Winkel um das Stadttheater, die Hotels Salmen und Thomann , die Oberrealschule und die Buttersiederei und natürlich auch einen Abschnitt der Dreisam.
Nach einer schnell eingenommenen Mittagsmahlzeit im Hause der Weltes starteten Norah und Richard zu ihrem letzten Ausflug. Ihr Ziel war die Ravennaschlucht, ein Seitental des Höllentales.
Sorgfältig parkte Richard den ihm auch für den heutigen Ausflug überlassenen dunkelgrünen Horch Phaeton von Edwin Welte im Schatten einer Fichte. Ein paar Meter entfernt, direkt vor dem dort erbauten Haus, wurde ein anderes Fahrzeug geparkt. Dessen Fahrer wollte offenbar sehr zügig in die Schlucht, denn er stieg hastig aus und eilte nahezu im Laufschritt in Richtung Wald davon. Noch ehe Richard das Fahrzeug umrunden konnte, war Norah schon allein ausgestiegen und streckte sich dem sommerlichen, wolkenlosen Blau des Himmels entgegen.
„Ist das warm!“, hörte er sie seufzten, doch es klang nicht unbehaglich. Aber das hätte ihn auch gewundert. Norah nahm mit stoischer Gelassenheit jedes Wetter,
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