Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
erklären. Vielleicht macht es jemanden bei der Polizei misstrauisch, zumal einige Mitarbeiter der Versicherung bereits unter Verdacht standen. Und wenn nicht, schadet es auch niemandem“, schlug Chloe vor.
Danny legte seine Fototasche auf einen kleinen Beistelltisch und ergriff Chloes Hand. „Würdest du noch immer mit mir nach New York gehen, Chloe?“
„Gern“, erwiderte sie ohne die Spur eines Zögerns. Norah lächelte, obwohl sie einen kleinen Schatten über das Gesicht der Freundin huschen sah. Sie würde in Irland so viel zurücklassen, obwohl sie im eigentlichen Sinne nichts besessen hatte. Aber sie gewann dafür etwas Unbezahlbares – die Liebe eines wunderbaren Mannes.
Danny beugte sich zu Chloe hinüber und flüsterte so laut, dass Lora und Norah ihn dennoch verstehen konnten: „Einen anständigen Heiratsantrag bekommst du dann noch, wenn wir mal allein sind.“ Die Grübchen in Norahs Wangen verschwanden schnell wieder, als Danny sich an sie wandte. „Du bist eingeladen, jederzeit nachzukommen, Norah. Von New York aus kannst du ebenfalls als Stewardess arbeiten.“
„Danke, Danny. Zuerst muss ich aber nach Plymouth.“
„Ich weiß.“
„Gehst du trotzdem noch zum Telegraph ?“
„Noch bevor ich die Schiffskarten für Chloe und mich kaufe“, versprach Danny und erhob sich.
Norah, die zwischen ihren Schiffsreisen häufiger für ein paar Tage bei ihrer Großmutter wohnte und daher einige Kleidungsstücke bei ihr untergebracht hatte, zog sich um und verabschiedete sich eine halbe Stunde später. Chloe und Danny wollten sie auf den Bahnhof begleiten, selbst wenn sie alle annahmen, dass Beckett nach dem Blitzlichtangriff auf ihn kein Interesse mehr daran hatte, sich noch einmal die Finger zu verbrennen.
Der Zug stand bereits abfahrbereit unter Dampf. Danny zog sich nach einer kurzen Verabschiedung zurück und ließ die beiden Freundinnen allein. Chloe und Norah fassten sich an den Händen und sahen sich eine Weile schweigend an. Schließlich lächelte Norah schmerzlich und zog Chloe fest an sich.
„Es tut so weh, Chloe.“
„Noch ein Abschied, den du jetzt ertragen musst. Es tut mir so leid, Sternchen. Ich werde dich sehr vermissen.“
„Was machen nur die Kinder in den Gassen ohne ihre Lehrerin?“
„Violetta ist sehr gebildet. Sie kann mein Haus haben und die Kinder unterrichten.“
Norah lächelte unter Tränen. „Ja, andere werden unsere Plätze einnehmen. Das ist gut.“
„Ich liebe dich, Sternchen. Und ich wünsche dir, dass du dich in Gottes Händen getragen fühlst.“
Norah klammerte sich an ihre Freundin, und zum ersten Mal, seit sie die schreckliche Nachricht von der Tragödie um die Titanic erfahren hatte, weinte sie um Dylan und Richard. Sie würde den lustigen Dylan und seine Streiche vermissen. Und Richard? Sie hatte ihm gerade erst ihr Herz geschenkt, hatte ihr Leben mit ihm teilen wollen. Er war ein wunderbarer Mann gewesen, der sie liebte und für den sie Gefühle empfand, die sie niemals zuvor einem Mann entgegengebracht hatte. Verzweifelt wünschte sie sich, er wäre bei ihr. Wie gerne hätte sie wenigstens einmal den Klang eines Pianos gehört, wenn er es spielte. Nun war er gewaltsam von ihrer Seite gerissen worden. Im Moment schnürte ihr jeder Gedanke, jede Erinnerung an ihn das Herz schmerzlich zusammen. Noch wollte sie seinen Tod aus ihren Gedanken verdrängen, den Tränen Einhalt gebieten, doch lange würde ihr das nicht mehr möglich sein. Sie musste sich den Tatsachen stellen: Richard würde nicht zu ihr zurückkehren. Niemals wieder würde sie sein Lächeln sehen, eine Umarmung von ihm spüren … es wurde allmählich Zeit, auch von ihm Abschied zu nehmen.
Der Schaffner stieß einen Pfiff aus und bat die Passagiere einzusteigen. Chloe wollte Norah von sich schieben, doch die klammerte sich nur noch fester an die Freundin.
Dann riss sie sich von ihr los.
„Ich liebe dich, Chloe. Die Leute in New York können sich glücklich schätzen, dass sie dich bekommen. Und Danny auch.“
Sie ergriff ihre winzige Tasche, eilte zur Waggontür und verschwand wieselflink in dem Abteil.
Kapitel 47
Im Anlegebereich der IMM 28 , einer Schifffahrtsgesellschaft, zu deren Trust auch die White Star Line gehörte, befanden sich erstaunlich wenig Menschen, als die Lapland dort vertäut wurde. Vermutlich hatten nur wenige Angehörige erfahren, mit welchem Schiff, wann und vor allem auch wo die Überlebenden der Titanic nach England zurückkehren würden.
Norah
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