Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
über die Vereitelung seiner Pläne wandte er sich in Richtung des White Star -Verwaltungsgebäudes. Er wollte keine andere Passage nach New York, sondern würde sein Geld zurückverlangen.
Norah musste früher oder später nach Belfast reisen. Bis dahin konnte er einen neuen Plan ersinnen, wie er diese Frau erst ein wenig quälen und dann endgültig beseitigen konnte. Er musste nur ein wenig länger Geduld haben …
Teil 2
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1912
Näher, mein Gott, zu dir,
selbst wenn es ein Kreuz ist, das mich emporhebt.
Trotz allem soll dies mein einziges Lied sein:
Näher, mein Gott, zu dir.
Näher, mein Gott, zu dir.
Wie bei einem Wanderer bedeckte mich Dunkelheit.
Als die Sonne versank, war mein Kissen ein Stein.
Doch in meinen Träumen war ich
näher, mein Gott, bei dir.
Lass meinen Weg klar werden – Schritte zum Himmel.
Was du mir auch schickst, ist in Gnade gegeben,
wie Engel, die mich
näher, mein Gott, zu dir lotsen.
Beim Aufwachen ist mein erster Gedanke erhellt mit deinem Lob,
und aus den Steinen meiner Trauer bau ich einen Dankaltar.
So komme ich durch mein Leiden
näher, mein Gott, zu dir.
Oder wenn ich mich freudig gen Himmel schwinge,
vorbei an Sonne, Mond und Sternen fliege,
auch dann soll mein ewiges Lied sein:
Näher, mein Gott, zu dir.
Dort, in meines Vaters Haus, geborgen und in ewiger Ruh,
dort, umgeben vom Segen und der vollkommenen Liebe meines Retters,
bin ich bis in alle Zeiten
näher, mein Gott, bei dir.
(Nearer, my God, to thee, Übersetzung von Christiane Bayer-Barclay)
Kapitel 8
Richard stapfte mit langsamen, schwerfälligen Bewegungen die Stufen hinauf. Unter jedem seiner Schritte knarrte das Holz und erfüllte den schmalen Treppenaufgang mit einer traurigen Melodie. Vor der Wohnungstür ein Stockwerk unterhalb des Dachgeschosses blieb er für einen Moment stehen. Er wechselte den Rucksack mit seinen Einkäufen von der linken in die rechte Hand und zwang sich dann weiterzugehen.
Trauer bemächtigte sich seiner und drückte ihn nieder. Frau Schnee war im Januar verstorben. Jetzt lebte ein frisch verheiratetes Paar in ihrer Wohnung, das er noch nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte. Er hatte seine Anonymität und Ruhe in diesem Haus zurückbekommen, doch das gefiel ihm nicht. Jeden Tag, wenn er nach Hause kam und die Stufen hinaufstieg, stellte er überrascht fest, wie sehr ihm die alte Frau fehlte. Sie war wie ein kleiner Lichtblick in seiner selbstgewählten eintönigen Routine und seinem arbeitsamen Streben nach Erfolg gewesen. Er hatte es genossen, sich nach der Arbeit mit jemandem zu unterhalten, der wissen wollte, wie es ihm ging und sich wirklich für ihn interessierte. Ebenso vermisste er ihre gemeinsamen Mahlzeiten, die Gespräche mit Frau Schnee und sogar ihre Gebete, selbst wenn er sich dabei zu Anfang immer ein wenig unbehaglich gefühlt hatte. Immerhin hatte er noch nie zuvor erlebt, dass jemand mit Gott sprach, als säße er direkt bei ihm in der guten Stube.
Richard kramte mit der freien Hand nach dem großen Schlüssel in seiner Manteltasche und schloss die Tür auf. Bevor er eintrat, zog er seine nassen Schuhe aus und stellte sie auf das Tuch, das die Feuchtigkeit auffangen sollte. Danach stellte er den Rucksack in die Küche, hängte, penibel wie immer, Mantel, Schal und Hut auf und räumte zuletzt die Lebensmittel aus.
Schließlich ließ er sich mit eingezogenem Kopf auf der unter dem Dachfenster stehenden Holzbank nieder und schaute hinaus. Draußen schoben sich graue Wolkenmassen über den abendlichen, bereits im Dunkelwerden begriffenen Himmel. Sie verleiteten ihn, minutenlang bewegungslos dazusitzen und ihnen mit den Blicken zu folgen. Eine seltsame Traurigkeit hatte ihn ergriffen, seit Frau Schnee vor ein paar Wochen gestorben war. Inzwischen wusste er auch, welchen Namen er diesem Gefühl geben sollte: Einsamkeit.
Er erhielt zwar weiterhin in unregelmäßigen Abständen Einladungen von den Weltes oder Bokischs, doch dabei handelte es sich immer um reine Geschäftsessen. Zweimal war er von einer der gut situierten Familien eingeladen worden, die er bei einem der gesellschaftlichen Anlässe kennengelernt hatte, zu denen er Norah begleitet hatte, doch auch diese Treffen brachten ihn seinem Ziel, ein anerkanntes Mitglied der gehobenen Gesellschaft zu sein, nicht wirklich näher. Es waren Ausflüge auf Zeit in eine andere Welt, und anschließend kam er mit dem frustrierenden Gefühl zurück in seine kleine Wohnung, nichts Nachhaltiges
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