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Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Titel: Der Klang des Pianos: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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Kartoffel glich und nicht mehr viel Ähnlichkeit mit der schnittigen Spitze aufwies, die eigentlich zu einem Kreuzer gehörte.
    „Kapitän Smith hat weder das Festland noch die Insel getroffen, sondern ein anderes Schiff!“, flüsterte Norah Violet zu.
    Norah drängte sich möglichst unauffällig bis vorne an die weiße Reling, während Violet ihr folgte. „So, wie der Armeekreuzer aussieht, müssen wir auch ein ordentliches Leck abbekommen haben. Halt mich mal fest!“, bat sie und beugte sich gefährlich weit über die Reling hinaus. Sie suchte mit den Augen den schwarzen Rumpf der Olympic ab, während die kräftigen Hände der zweiten Stewardess verhinderten, dass sie bei dem waghalsigen Unterfangen über die Reling stürzte.
    Nachdem sie genug gesehen hatte, rutschte sie wieder nach hinten und kam mit beiden Füßen sicher auf den Bohlen des Bootsdecks auf.
    „Wir haben ein klaffendes Leck im Rumpf! Hinten im Heck, im Bereich der Zweite-Klasse-Kabinen. Hoffentlich waren die Inhaber dieser Kabinen gerade im Speisesaal“, flüsterte Norah, damit die umstehenden Passagiere sie nicht hören konnten.
    „Gehen wir“, beschloss Violet.
    Die Stewardessen machten sich auf den Weg in Richtung Heck, wurden auf halber Strecke jedoch vom Chefsteward der zweiten Klasse aufgehalten, der die beiden mit hektischen Handbewegungen zu sich winkte.
    „Miss Casey, schauen Sie bitte nach Ihren Passagieren.“
    „Ich bin gerade unterwegs“, erwiderte sie.
    „Was ist denn genau passiert?“, fragte Violet.
    Norah zögerte, damit sie die knappe Erläuterung noch hören konnte.
    „Das weiß bis jetzt keiner so genau. Jemand meinte, die HMS Hawke sei in den Sog der Olympic geraten. Sie sei achtern gegen uns getrieben und dabei fast gekentert. Dann hat sie sich wohl wieder von uns weggedreht. Wir haben ein gewaltiges dreieckiges Loch und üble Verformungen in der Rumpfverkleidung oberhalb der Wasserlinie und ein Leck unterhalb. Außerdem wurde von unten gemeldet, dass die Welle der Steuerbordschraube beschädigt sei und vermutlich auch der Schraubenflügel.“
    „Und die Hawke?“
    „Hält sich mühsam über Wasser.“
    Norah hielt es für besser, nun doch an ihre Arbeit zurückzukehren. Sie wusste nicht, wie groß das Leck unterhalb der Wasserlinie war und was dies für das stolze, große und eigentlich noch neue Schiff bedeuten würde. Allerdings war der Schaden, den sie mit bloßem Auge gesehen hatte, gemessen an der Gesamtlänge des Schiffes gering. Vermutlich war dann auch unter der Wasserlinie kein wesentlich größeres Leck entstanden. Mit diesem Wissen konnte sie allzu verängstigte Passagiere mit Sicherheit beruhigen. Allerdings würde eine Fortsetzung der Reise unter diesen Umständen nicht möglich sein.
    Norah biss die Zähne zusammen, als sie die Stufen in das unterhalb gelegene Deck nahm. Für die Passagiere bedeutete dieser Unfall, dass sie ausgeschifft werden würden und eine andere Passage nehmen mussten – für das Personal hieß eine abgesagte Fahrt eine ausfallende Heuer und somit für manche Familien eine sehr schwere Zeit.

    Ryan Cowen schritt über die leicht schwankende Gangway hinunter an Land. Noch immer verärgert über den Abbruch der Schiffsreise hieb er mit der geballten Faust auf den Handlauf, der unter seinem Schlag heftig zu vibrieren begann. Er hatte für die Passage auf der Olympic eine Menge Geld ausgegeben und nun kollidierte dieser Koloss mit einem Kreuzer! Dabei wollte er gar nicht in die Staaten. Der einzige Sinn dieser Schifffahrt war gewesen, Norah Casey unter einem Vorwand an Deck zu locken, um sie unauffällig, aber endgültig aus dieser Welt zu entfernen. Ob die Stewardess schwimmen konnte oder nicht, war unerheblich. Zu dem Zeitpunkt, an dem er sie über Bord hatte werfen wollen, wäre der Liner bereits so weit vom Festland entfernt gewesen, dass selbst ein geübter Schwimmer keine Chance gehabt hätte.
    Nun führte die Unfähigkeit einiger Seeleute dazu, dass sein sorgfältig geplantes Vorhaben nicht mehr durchführbar war. Er wusste nicht, ob Norah auf einem Ersatzschiff anheuern würde oder aber zurück nach Belfast reiste.
    Ryan trat beiseite, um weitere Erste-Klasse-Passagiere aussteigen zu lassen, und beschattete seine Augen mit den Händen. In der Hoffnung, Norah unter den vielen auf den Kai strömenden Menschen entdecken zu können, blickte er sich suchend um. Aber vermutlich verließ sie erst lange nach den Passagieren das leckgeschlagene Schiff.
    Noch immer aufgebracht

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