Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
war.
„Komm rein, Norah“, lautete die euphorisch klingende Antwort, als Norah bereits mitten in dem einzigen Raum der Hütte stand.
„Ich habe Dylan, Adam und Richard mitgebracht.“
„Dann lass sie nicht draußen stehen, Mädchen“, hörte Richard die andere Frau lachen, deren Stimme so volltönend und kräftig klang, als sei sie eine ausgebildete Opernsängerin.
Richard folgte den beiden Männern in die Hütte und stieß sich sofort heftig den Kopf an dem niedrigen Türrahmen. Vor Schmerz sog er zischend die Luft ein.
„Was machst du denn?“, rügte ihn Norah, nahm ihn an der Hand und zog ihn zu einem Stuhl.
Richard ließ sich auf diesen sinken und drückte beide Hände gegen seine Stirn. Der Schmerz zog in Wellen bis in seinen Hinterkopf und in seinen ohnehin seit Langem verspannten Nacken hinein. Übellaunig begann er, mit sich und seiner Entscheidung zu hadern, Norah überhaupt zu begleiten, anstatt den Abend mit Helena zu verbringen.
Weshalb hatte er sich nur von seinem Ziel abbringen lassen, nur noch die Beziehungen zu fördern, die für sein Vorankommen von Bedeutung waren? Was tat er hier, in diesen stinkenden, schmutzigen Gassen bei ihm unbekannten Menschen, die zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig besaßen? Was konnten diese Leute ihm schon bieten?
„Er ist die niedrigen Eingänge nicht gewohnt“, vermutete Dylan und zog Richards Hände fort, damit er sich seine Stirn ansehen konnte. „Man kann deutlich die Maserung des Türstocks erkennen“, witzelte er.
„Bei deinem Holzkopf wäre das sicher nicht möglich“, kommentierte Adam in all seiner Gemütsruhe und beugte sich hinunter, um ebenfalls Richards Stirn zu begutachten. Sein Grinsen ließ Richard nichts Gutes ahnen. Wie sollte er morgen Helena gegenübertreten, wenn eine gewaltige Beule seine Stirn verunzieren würde? Ein paar Hände schoben die beiden kräftigen Männer beiseite, als seien sie kleine Kinder, und Chloe baute sich vor ihm auf. Die Frau war ausgesprochen korpulent, und ihre kupferroten Haare lockten sich wild um ihr Gesicht, obwohl sie vergeblich versucht hatte, sie mit ein paar Spangen zu bändigen.
„Du bist also Rick? Der Griesgram aus Deutschland?“
Richard schwieg sprachlos.
„Norah hat sich viele Gedanken um dich gemacht, als sie hierher zurückkam. Aber sie hat schnell begriffen, dass du dein eigenes Leben leben und deine eigenen Entscheidungen treffen musst und sie dir aus der Entfernung nicht helfen kann, außer indem sie für dich betet natürlich.“
Richard nickte erneut, diesmal völlig perplex.
„Hör mal, Sternchen, das ist aber ein hübscher Junge. Deiner Beschreibung nach dachte ich, er sei mindestens fünfzig. Er sieht überhaupt nicht wie ein einsamer Junggeselle aus, der außer Arbeit und Pflichterfüllung nichts im Kopf hat. Wenn du mich fragst, könnte der sich sogar eine richtige Lady einfangen.“
„Hey, ja, die schöne Helena“, prustete Dylan.
„Jetzt lasst dem armen Jungen doch mal etwas Platz zum Atmen. Und du, Norah, nimmst eines der sauberen Tücher, die er da mit sich herumträgt, und tauchst es in das kalte Wasser hinter dem Tisch. Seine Stirn muss gekühlt werden, sonst sieht er morgen aus, als sei er gegen einen Türrahmen gelaufen!“ Chloe lachte herzhaft über ihren eigenen Scherz.
Kurz darauf drückte Richard sich ein kaltes, tropfendes Tuch gegen seine schmerzende Stirn, während Chloe Tee zubereitete und Norah Tassen und sogar ein Glas mit in dieser Gegend vermutlich kostbarer Milch auf den wackeligen kleinen Holztisch stellte.
„Besser?“, fragte die Gastgeberin zwischendurch und klang sehr besorgt.
„Viel besser. Danke schön“, erwiderte Richard höflich, obwohl der Schmerz noch immer unangenehm in seinem Kopf hämmerte.
„Wenn ich gewusst hätte, dass ich so einen hochgewachsenen Gast bekomme, hätte ich eigens ein Loch in den Türbalken gesägt.“
„Chloe würde alles tun, um ihre Freunde vor Schaden zu bewahren“, flüsterte Norah ihm im Vorbeieilen zu. Im selben Atemzug zischte sie ihren Bruder an, er solle seine langen Beine gefälligst unter den Tisch und nicht in den Weg strecken.
Richard, zumindest wieder in der Verfassung, halbwegs logisch zu denken, sah sich neugierig um. Der hintere Bereich des winzigen Raumes war durch einen löchrigen Vorhang abgetrennt. Vermutlich befand sich dahinter das Bett. Es gab eine Kommode, ein einziges Regalbrett, einen einfachen Ofen mit einer Kiste, die ein paar Lebensmittel und Geschirr enthielt,
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