Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
den Kopf und blickte auf die rote Flüssigkeit in dem einfachen Tonbecher.
In diesem Moment flog die Tür auf und donnerte mit einem gewaltigen Krachen gegen die rückwärtige Wand. Ein rothaariger, drahtiger Junge von etwa acht Jahren stürmte herein und blieb direkt vor Richard stehen.
„Oh“, sagte er nur, und seine Augen, die im Schein der Kerze in seinem verschmutzten Gesicht aufblitzten, musterten Richard einen Moment lang neugierig. Gleich darauf galt seine Aufmerksamkeit jedoch Chloe und er lief zu ihr hinüber. „Chloe, komm schnell“, sagte er. „Daniel fiedelt! Daniel fiedelt heute Abend!“, rief er aufgeregt und zerrte auffordernd an den Händen der Frau.
„Daniel fiedelt heute! Wirklich, Sean?“ Dylan lachte scheppernd und war für seine Körpergröße und Masse erstaunlich schnell bei der Tür.
„Wie schön!“, rief Chloe und schob Adam vor sich her zum Ausgang.
Richard fragte sich, ob Norah ihm jetzt erneut anbieten würde, ihn zurück in das Gästehaus der Pirries zu bringen, zumal er dort wohl besser aufgehoben war als bei einem fiedelnden Daniel, den er nicht kannte.
Norah allerdings stürmte hinter Dylan, Adam und Chloe aus dem Haus, ohne Richard eines weiteren Blickes zu würdigen.
Einzig der rothaarige Junge blieb bei ihm zurück. „Sind Sie der traurige Deutsche?“, fragte der Kleine prompt und trat neugierig einen Schritt näher.
„Der bin ich wohl“, meinte Richard und erhob sich etwas schwerfällig. Wie kamen die Menschen hier dazu, ihn für griesgrämig zu halten? Immerhin hatte er, im Gegensatz zu ihnen, eine gute Arbeit, ein anständiges Zuhause und die besten Aussichten, einen gewissen Wohlstand zu erreichen. Davon konnten die Leute hier doch nur träumen.
„Richard“, rief Norah jetzt und streckte noch einmal den Kopf zur Tür herein. „Komm schon! Daniel fiedelt. Und er wird das bestimmt nicht die ganze Nacht tun!“
Richard seufzte laut auf, und bevor er hinter dem Jungen das Haus verließ, löschte er die Kerze, schloss die Tür ordentlich … und rannte einmal mehr hinter Norah her.
Auf der Kreuzung zweier heruntergekommener Gassen drängten sich unzählige Menschen. Sie tanzten, johlten und lachten, während um sie herum ein paar Fackeln und an Hauswänden aufgehängte Lampen die Umgebung in ein flackerndes orangefarbenes Licht tauchten. Ein junger Mann mit dunklen, nach allen Seiten abstehenden Haaren stand auf einer wackligen Holzkiste inmitten der Tanzenden und spielte auf einer Geige – eher laut und schnell als schön, doch das störte offensichtlich niemanden.
Kleine Mädchen sprangen mit auf und ab hüpfenden Zöpfen und wehenden Röcken zwischen den Tanzenden herum. Die Jungen hingegen lehnten an Hauswänden und riefen sich lachend Kommentare zu oder klatschten wie die Erwachsenen im Takt der Musik. Ein jaulender Hund ergriff die Flucht vor dem lauten Durcheinander, und Richard hätte es ihm am liebsten gleichgetan.
„Das ist Daniel!“, rief Norah ihm zu und deutete mit der Hand unnötigerweise auf den fiedelnden jungen Mann. „Und das ist seine glückliche Verlobte Catherine!“ Damit legte sie den Arm um eine Frau, die etwa in ihrem Alter sein musste.
„Tag, Rick“, rief die nur, was bewies, dass er bereits ein Gesprächsthema in diesen schmutzigen Gassen war. Catherine schnappte sich Adam und zog den Mann hinter sich her zur improvisierten Tanzfläche.
„Siehst du die zarte, schüchtern wirkende Frau da mit dem Baby? Das ist Ella mit Evan. Der Junge, der uns geholt hat, war ihr Ältester, Sean.“
Richard nickte, auch wenn er ihre Worte in dem Trubel nur mühsam verstehen konnte.
„Und hier, das sind Mia und Ben. Ihre Kinder sind auch irgendwo. Und das ist die Familie …“ Norah unterbrach sich lachend, als der Mann und die Frau, auf die sie eben deutete, in der Menge verschwanden. „Weg sind sie!“, erklärte sie und legte den Kopf leicht schief. „Wer der Mann ist, der da mit Chloe tanzt, weiß ich gar nicht.“ Die junge Frau stemmte die Hände in die Hüften und beobachtete einen kleinen, drahtigen Iren, der Chloe fest im Griff hatte.
„Hey, das ist ein Verwandter von Catherine. Danny Fitzpatrick. Er ist freier Journalist, arbeitet mal in New York, mal in London und auch hier in Belfast. Er mag übrigens Chloe, aber die schießt quer!“, rief Dylan, bevor er sie am Arm ergriff.
„Los, komm schon!“, brüllte er, wirbelte Norah herum und riss sie förmlich hinter sich her, hinein in die wogende Menge.
Richard
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