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Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Titel: Der Klang des Pianos: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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erreichte unter einigen Mühen den Schutz einer Hauswand, an die sich zwei ältere Frauen und ein greiser Mann lehnten. Auf den ausgezehrten Gesichtern spiegelte sich reine Begeisterung wider, und die Frauen klatschten im Takt der Musik, während der weißhaarige Alte mit seinem Gehstock kräftig auf den festgetretenen Boden klopfte.
    Richard lehnte sich neben dem alten Iren mit dem Rücken an die Wand, allerdings weit genug von ihm entfernt, dass der Stock ihm nicht gefährlich werden konnte. Von dort schaute er auf die ausgelassen tanzende Menge vor sich. Die Freude und Begeisterung der Menschen um ihn herum war irgendwie … faszinierend. So etwas hatte er noch nie erlebt. Irritiert beobachtete er die Menschen, die blitzenden Augen, lachenden Gesichter, fliegenden Röcke und übermütig in die Höhe geworfenen Hüte und Mützen.
    Daniels Takt wurde nochmals schneller. Richard sah selbst aus der Entfernung, wie ihm der Schweiß über das Gesicht lief, doch auch er lachte aus vollem Herzen, stampfte mit einem Fuß auf die bedenklich wankende Kiste und steigerte sein Tempo noch weiter.
    Ganz plötzlich, inmitten dieser ausgelassen feiernden Menge, überkam Richard ein tiefes Gefühl von Einsamkeit. Es fühlte sich an wie ein bodenloses Loch, in das er hineinfiel. Tiefer und tiefer. Er kannte das bereits von den ersten Tagen, nachdem Norah damals abgereist war, und den Wochen nach Frau Schnees Tod.
    Der junge Mann hob den Blick und betrachtete die Sterne. Hell funkelnd breiteten sie sich über dem schwarzen Firmament aus. Es waren dieselben, die auch in Freiburg am Himmel standen, und doch schienen sie heute intensiver und fröhlicher zu blinken, als freuten auch sie sich über die laute, ausgelassene Stimmung der Feiernden.
    Richard beobachtete die hellen Himmelslichter eine geraume Zeit, und es gelang ihm sogar, das Lachen und Rufen, das Spiel der Geige und das gleichmäßige Geräusch des Stocks neben ihm aus seinen Gedanken auszuklammern.
    Zum ersten Mal seit Frau Schnees Tod richtete er seine Gedanken bewusst auf etwas anderes als seine Arbeit und seine Karrierepläne. Waren seine Wünsche und Ziele wirklich das Wichtigste, was es im Leben gab? Oder gab es vielleicht doch etwas Höheres, ein Ziel, das über diese Dinge hinausging? Frau Schnee hatte gelegentlich davon gesprochen, dass Gottes Pläne mit einem Menschen oftmals anders aussahen, als dieser es sich erträumte. War er einfach „zufällig“ hier gelandet, oder diente seine Anwesenheit vielleicht irgendeinem Zweck?
    Ein kräftiges Zupfen an seinem Jackenärmel ließ Richard den Kopf senken. Er blickte in die dunklen Augen eines kleinen Mädchens, das dem Aussehen nach mit großer Wahrscheinlichkeit zu dieser Ella und zu Sean gehörte. Die gleichen wild gelockten roten Haare umrahmten ihr schmales, etwas kantiges Gesicht.
    „Du bist doch Norahs Freund Rick, nicht wahr?“ Das Mädchen lächelte ihn an und zeigte dabei winzige, weit auseinanderstehende Milchzähne. „Ich bin Katie. Tanzt du mit mir?“
    Richard schüttelte entsetzt den Kopf. Als er das enttäuschte Gesicht des Mädchens sah, beugte er sich zu ihr hinunter und erklärte: „Ich habe eine Verletzung an der Stirn, siehst du?“ Er schob seine Haare zur Seite. „Ich kann nicht tanzen.“
    „Tut es sehr weh?“
    Richard nickte und richtete sich wieder auf.
    „Dann aber das nächste Mal, wenn Daniel fiedelt!“, rief das Mädchen durch die um den Mund gelegten Hände gegen die Geräuschkulisse an und verschwand in der Menschenmenge.
    Das rhythmisch klopfende Geräusch des Stockes neben ihm war verstummt, und Richard blickte fragend zu dem alten Mann hinüber. Dieser musterte ihn aus erstaunlich wachen, grauen Augen von oben bis unten, ehe er in kaum verständlichem Englisch sagte: „Weißt du nicht, dass man beim Tanz oder mit einer Frau im Arm alle Schmerzen vergisst?“ Zu Richards Erleichterung wurde der Alte abgelenkt, da ihm ein junges Mädchen ein Glas schäumendes, dunkles Bier brachte und ihn somit einer Antwort enthob.
    Während er überlegte, ob er den Rückweg zur Belmont Road allein finden würde, richtete Richard seinen Blick wieder zu den Sternen hinauf. Auf dieses Abenteuer wollte er sich lieber nicht einlassen, und so blieb ihm nur, geduldig auf Norahs Rückkehr zu warten.
    Und dann stand sie plötzlich vor ihm. Sie sah ein wenig zerzaust aus und einige schwarze Haarsträhnen lockten sich um ihr erhitztes, gerötetes Gesicht. Ihre dunklen Augen funkelten im Licht der

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