Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
sich kompromisslos für Susan und ihre verschwundene Schwester einzusetzen, und im Grunde verdiente sie deshalb seine Bewunderung. Allerdings verstand er einfach nicht, warum sie sich dabei so leichtsinnig in Gefahr bringen musste, und ihre Art, unangenehme Dinge einfach abzutun und wieder zur Tagesordnung überzugehen, hatte ihn ja schon immer verwirrt.
Richard seufzte und bemühte sich, mit Norahs Tempo Schritt zu halten.
Kapitel 17
„Hier wohnen Mia und Ben.“ Norahs Stimme schallte über das Heulen des Windes hinweg, der hier noch beißender durch alle Ritzen und Spalten der Häuser pfiff, ein nicht enden wollendes Klappern von losen Fensterläden und Dachplatten hervorbrachte und sogar größere Gegenstände durch die Gasse kullern ließ. Richard zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern.
Das Haus der Kerrys unterschied sich in nichts von den anderen kleinen Häusern in diesem Stadtteil, stellte Richard bekümmert fest. Norah klopfte an die niedrige Tür und wartete ungeduldig.
Eine schlanke Frau öffnete, winkte sie mit einer Hand herein, und Norah trat sofort ein, während Richard misstrauisch den oberen Türbalken taxierte und ihr deutlich langsamer und tief gebeugt folgte.
Rund um einen Tisch, auf einer Bank und den wenigen vorhandenen Stühlen saßen vier Jungen, wohl Mias Söhne, dazu Sean und Katie und zwei weitere, Richard unbekannte Kinder. Chloe stand hinter ihnen und schien sie zu beaufsichtigen. Offenbar handelte es sich hier um eine Art Schule, denn alle, sogar die fünfjährige Katie, hatten Papier und Stifte vor sich. In einer Ecke des Raumes, auf dem Boden, saßen Danny, Adam und Dylan.
„Es ist nett von dir, dass du Bens Mantel bringst, Rick. Unser Sternchen hat eine ordentliche Abreibung von ihm bekommen, weil sie ihn vergessen hatte“, erklärte Mia und deutete auf einen einfachen Haken an der Wand.
Richard zog den Mantel aus und betrachtete den langen Riss, den er auf ihrer Flucht davongetragen hatte. „Er ist leider kaputt, Mia“, murmelte er, betroffen über den Schaden.
„Wie konnte denn das passieren?“, fragte Adam und musterte Bens Kleidungsstück.
„Hey, wo habt ihr euch eigentlich getroffen?“, warf Dylan fast zeitgleich eine andere Frage dazwischen.
Richard fing Norahs besorgten Blick auf. Immerhin hatte Adam seiner Schwester am Vortag deutlich verboten, den Queen’s Square aufzusuchen, um dort nach Leah zu forschen. Was sollte er jetzt tun? Die Wahrheit sagen, damit die anderen darauf achteten, dass dieser wagemutigen, impulsiven Frau nichts zustieß?
Während Richard noch um eine Entscheidung rang, kauerte Norah sich vor die beiden Männer und sah sie eindringlich an. „Ist euch jetzt etwas eingefallen, wie wir Leah finden können?“, kam sie Richard mit ihrer Frage wieder einmal zuvor.
Allerdings war ihr Bruder nicht gewillt, sich so leicht ablenken zu lassen. Er musterte seine Schwester und blickte dann fragend zu Richard, der lediglich in einer hilflosen Geste die Schultern in die Höhe zog.
„Wo warst du eben?“, wandte Adam sich in seinem angenehm ruhigen, freundlichen Tonfall erneut an seine Schwester.
„Unterwegs.“
„Wo?“
„Hier und da.“
Seufzend taxierte er den jungen Mann neben seiner Schwester. „Rick?“
„Ich hatte mich verlaufen“, räumte Richard ein und erntete diesmal einen dankbaren Blick von Norah.
Adam stand auf. „Ach, genau genommen will ich es gar nicht wissen. Es ist ja nichts passiert“, murmelte er und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Wand.
„Den Riss im Mantel kann ich flicken“, sagte Mia, um die unbehagliche Situation zu beenden.
Richard hängte daraufhin das Kleidungsstück schnell an den Haken.
„Hey, wir könnten doch Rick zu den Häusern am Queen’s Square schicken. Ihn kennt dort keiner. Bei ihm würde niemand Verdacht schöpfen“, schlug Dylan vor, dem offensichtlich die Brisanz des kurzen Wortwechsels der Geschwister entgangen war.
„Was?“ Richard fuhr entsetzt herum.
Die Kinder, durch seinen entrüsteten Ausruf aus ihrer Konzentration gerissen, hoben die Köpfe und sahen ihn interessiert an.
„Eins ist doch klar: Wir müssen Leah schnell da rausholen.“ Dylan rieb sich erwartungsvoll seine schwieligen Hände.
Chloe ließ ein Buch so laut auf die Tischplatte fallen, dass alle Anwesenden zusammenzuckten. „Das ist kein Thema für die Kinder“, rügte sie. „Geht nach Hause“, bat sie, an ihre Schüler gerichtet.
„Und was machen wir?“,
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