Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
er.
„Mmhmm“, gab der andere wenig interessiert zurück.
Richard rutschte nervös auf seinem Hocker herum. Norah durfte jetzt nicht in einen Streit um den Hut hineingezogen werden. Sie brauchte die Kopfbedeckung, um sich vor ihrem Verfolger verbergen zu können.
Die Tür zum Gastraum wurde ruckartig aufgerissen, und Richard war klar, dass es sich bei dem Neuankömmling nur um Norahs Verfolger handeln konnte. Er setzte das Glas an die Lippen und nahm einen tiefen Zug, in der Hoffnung, wie ein ganz normaler Gast zu wirken. Dabei schaute er unauffällig in den großen, an der Wand hinter der Theke angebrachten Spiegel. Norahs stämmiger Verfolger verharrte bewegungslos im Türrahmen und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Der Reihe nach musterte er alle Anwesenden.
Richard sah, wie sich Norahs Lippen stumm bewegten. Ob sie wohl betete? Schließlich neigte sie den Kopf, als sei sie zu betrunken, um sich noch aufrecht halten zu können, wodurch ihr Gesicht vollständig zwischen den Mantelärmeln und dem Hut verschwand.
Richard widmete sich unter höchster Anspannung wieder seinem Bier. Er trank und trank und versteckte damit wenigstens einen Teil seines Gesichts in dem Glas. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie die beiden Alten ihn mit interessierten Blicken musterten.
Die Zeit schien stillzustehen. Noch immer stand der Hüne in der offenen Tür und taxierte die Pubbesucher. Nach unendlich erscheinenden Minuten drehte er sich schließlich um und verschwand wieder nach draußen. Die Tür fiel so lautstark hinter ihm ins Schloss, dass die darin eingelassenen Glasscheiben klirrten und Richard zusammenzuckte.
Erleichtert setzte er das Glas ab. Bis auf den Schaum war es vollständig leer. Norah, die ihn wohl aus dem Augenwinkel beobachtet hatte, deutete sein Verhalten so, dass die Gefahr vorüber war, und schaute über die Schulter in Richtung Tür.
Dann wandte sie sich Richard zu, und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand deutete sie auf ihren Mund. Richard verstand, zog schnell ein ordentlich gebügeltes Taschentuch hervor und wischte sich den Schaum vom Gesicht.
Norah stieg vom Barhocker, während Richard das Geld für ihre Drinks auf die Theke legte und ihr folgte. Sie waren schon fast am Ausgang angekommen, als Norah sich noch einmal umdrehte und mit einem verlegen wirkenden Schulterzucken den Hut zurück auf den Tisch legte, von dem sie ihn genommen hatte.
Unterdessen öffnete Richard langsam die Tür und spähte hinaus. Er konnte den Mann weder unter den vorbeigehenden Passanten noch irgendwo abseits sehen, und so trat er, gefolgt von Norah, auf die Straße.
„Du bist inzwischen ja richtig gut trainiert“, lachte Norah übermütig, kaum dass sie in eine Seitenstraße eingebogen waren.
Richard, noch vollkommen irritiert von den Geschehnissen, lief ihr nach und ergriff sie ein bisschen zu derb am Handgelenk. „Was war das? Wer war das?“, wollte er wissen.
„War er der Mann aus der Schlucht?“, fragte sie zurück. Der Anflug von Furcht, den er zuvor in ihrem Gesicht gesehen hatte, war bereits gänzlich verschwunden.
„Woher soll ich das wissen? Ich habe ihn doch so gut wie gar nicht gesehen“, schimpfte er und ging mit großen Schritten an ihr vorbei.
Norah holte ihn zügig ein und drängte ihn in eine der einmündenden Straßen und auf eine der Brücken über den Fluss zu. „Was machst du denn überhaupt hier in dieser Gegend?“ Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu, und ihre Grübchen verrieten überdeutlich, dass sie krampfhaft versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. „Du hast dich verlaufen, nicht?“
„Ich wollte den Mantel zurückbringen. Sein Besitzer wird ihn vermissen, oder?“, gab er ungehalten über ihre unerschütterlich gute Laune zurück.
„Ja, er gehört Ben. Danke dir! Wie geht es Susan?“, erkundigte sie sich und legte für einen kurzen Augenblick ihre Hand auf seinen Arm.
„Eine Angestellte der Pirries pflegt sie. Und dieser Dr. Barkley war inzwischen noch zweimal da.“
„Das ist gut!“, freute sich Norah.
Richard stimmte ihr leise zu. Er hatte schon befürchtet, der Arzt würde nach seinem ersten Besuch kein weiteres Interesse an der Verletzten zeigen. Schließlich hatte Helena ihn eher wegen Richards Kopfverletzung als für Susan rufen lassen.
„Allerdings ist sie noch immer nicht aufgewacht, Norah. Dr. Barkley kann über ihren Zustand nicht viel sagen. Wir können nur abwarten.“
„Und beten“,
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