Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
nachzudenken begann.
„Richard!“, rief Norah begeistert, stürmte zu ihm und ergriff seine beiden Hände, die sie kräftig drückte.
„Das ändert nichts an der Tatsache, dass du Leah nicht kennst und sie dir nicht vertrauen wird – falls du sie überhaupt findest“, wandte Adam erneut ein.
„Hey, und was wohl die schöne Helena sagen wird, wenn sie erfährt, wo du dich herumgetrieben hast?“, scherzte Dylan.
Richard warf dem Heizer einen entsetzten Blick zu. Mit fliegenden Fingern kramte er seine Taschenuhr hervor und klappte sie auf, nur um erschrocken festzustellen, dass er schon längst zurück im Haus der Pirries sein sollte. „Es tut mir leid, ich muss sofort gehen.“
„Dich sollten wir da ohnehin nicht mit hineinziehen. Außerdem hast du ja eine lebenswichtige Verabredung.“ Adam wandte sich an seine Freunde: „Ich bringe Rick zurück, während ihr überlegt, wie ich unbemerkt in die Bordelle reinkomme und wie wir Leah ebenso heimlich verschwinden lassen können.“ Adam bedeutete Richard, ihm zu folgen.
Fast ein wenig unwillig wandte Richard sich zum Gehen. Wieso fühlte er sich plötzlich ausgeschlossen? Sollte er nicht vielmehr Erleichterung verspüren? Er würde mit Helena den Abend verbringen, und sie würde ihm ein paar einflussreiche Persönlichkeiten Belfasts vorstellen. Dies war doch weitaus zielführender, als Norahs Freunden zu helfen, die seine Unterstützung ohnehin nicht benötigten.
Er verabschiedete sich knapp und trat in die feuchte Luft und den heftig an ihm zerrenden Wind hinaus. Das erneut in ihm aufkeimende Gefühl der Einsamkeit schob er erfolgreich beiseite. Er warf Norah, die ihm den Rücken zugewandt hatte, einen letzten besorgten Blick zu und schloss daraufhin energisch die Tür hinter sich.
Kapitel 18
Noch am selben Abend machte Adam sich auf den Weg in den verrufenen Stadtteil am Lagan. Er war sich unsicher, ob ihr Plan funktionieren würde, ganz abgesehen davon, dass Leah sich durchaus auch woanders aufhalten konnte. Doch er musste unverzüglich handeln, bevor seine kleine Schwester sich in ihrer Ungeduld ein weiteres Mal in Gefahr brachte.
Prüfend warf er einen Blick zurück und entdeckte wie vereinbart Dylan nur wenige Meter entfernt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Erleichtert, seinen besten Freund zumindest in seiner Nähe zu haben, schritt er weiter kräftig voran.
Adam wich geschickt zwei torkelnden Betrunkenen aus und überquerte den Fluss. Noch immer wehte ein starker Wind vom Atlantik her und brachte bedrohlich wirkende, nahezu schwarze Wolkenberge mit sich. In dem Augenblick, als er in den Queen’s Square einbog, klatschten die ersten schweren Regentropfen auf ihn, die schmutzige Straße und die Hausdächer herunter. Im Schein der Straßenlaternen sah er, wie der Staub auf der gepflasterten Straße innerhalb von Sekunden zu träge dahinfließenden graubraunen Rinnsalen wurde.
Adam blieb stehen und besah sich stirnrunzelnd seine neuen Schuhe und seine beste Hose, die er nur zu besonderen Anlässen trug. Die Schuhe waren bereits mit einer dunklen Schlammschicht überzogen und die Hosenbeine bis zu den Knien hinauf mit Flecken übersät. Seine gute Anzugjacke und die Krawatte hingen nass an ihm herunter und die sorgsam von Chloe geschnittenen Haare klebten ihm tropfend im Gesicht.
„Den Aufwand hätten wir uns sparen können“, murmelte er vor sich hin, bevor er weiterging. „Bei dem Wetter sieht ein Gentleman nicht besser aus als ein Strauchdieb.“
Er musterte die hinter der grauen Wasserwand zu einer einzigen großen Masse verschwimmenden Hausfronten. „Dann mal los“, flüsterte er, als müsste er sich selbst Mut machen.
Mit einer kräftigen Bewegung schob er die breite Eingangstür des Steinhauses auf, in dem Norah die Gesuchte vermutete, und betrat ein Foyer, dessen Boden mit einem weichen Teppich ausgelegt war, auf dem sich um seine Schuhe herum sofort eine schmutzige Lache bildete.
Ein Mann in einer vornehmen schwarzen Livree eilte auf ihn zu. Obwohl ihm noch immer das Wasser aus den Haaren in die Augen rann, konnte Adam sehen, wie abschätzig er begutachtet wurde.
Der Livrierte warf einer älteren Dame, die mit ihrer farbenprächtigen Kleidung und dem übertriebenen Make-up einem Papagei Konkurrenz machte, einen fragenden Blick zu, den sie offensichtlich sogleich verstand. Sie verschwand in einem angrenzenden Zimmer und kam wenig später mit einem großen weißen Handtuch zurück, das sie Adam reichte.
Dieser fuhr sich
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